Deine Hertha – das unbekannte Wesen!

Hallo?! Versteht jemand was in Berlin vor sich geht? Hertha BSC Berlin auf Platz 1 in der Fußball-Bundesliga? Da stimmt doch was nicht. Die Republik rätselt und anlässlich des Spiels der Werkself in der Hauptstadt, habe ich mal bei Enno Aljets von Welt Hertha Linke nachgefragt, ob sich der Hertha-Blogger einen Reim auf die Leistungen seines Teams machen kann. Doch auch Enno rätselt, angesichts der Leistungen der Werkself. Irgendwie spielen die Labbadia-Kicker immer gut, aber die Punkte bekommt der Gegner. Das wäre perfekt für die Hertha und Enno am Wochenende, doch ich erkläre ihm drüben bei Welt Hertha Linke, dass daraus nichts wird.

Jens: Was viele überrascht und verwundert. Hertha ist auf dem Sonnenplatz der 1. Fußball-Bundesliga. Nicht nur mal eben gerade so – sondern der Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern beträgt vier Punkte. Wie konnte es dazu kommen? Ist die Liga so “schlecht” oder Hertha so “gut”? Ich selber kann mir ehrlich gesagt keinen Reim auf die Leistungen der alten Dame machen. Du bist der Spezialist, erklär es mir!

Enno: Also ich bin selbst natürlich auch verwundert. Doch die Irritation über die erstaunlich gute Leistung der Hertha weicht langsam einem selbstbewusstem Optimismus. Und zwar nicht nur bei mir und vielen anderen Fans, sondern auch bei der Mannschaft. Sie wissen mittlerweile, dass sie diese Saison einiges erreichen können. Vielleicht sogar die Meisterschaft. Hertha ist vor allem deshalb so gut, weil sie überragend trainiert wird. Die lange, mühsame Arbeit von Lucien Favre wird nun belohnt. Schau dir einmal die taktische Disziplin und die Kürze der Ballkontakte (im Schnitt 1,1 Sekunden) beim kommenden Spiel an. Das ist Liga-Spitze und kommt nicht von ungefähr. Darüber hinaus bietet die Liga dieses Jahr die Chance für einen Überraschungs-Meister, weil Bayern, Schalke und Bremen schwächeln. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Spitzengruppe unbedingt so schlecht sein muss, wenn man an HSV, Hoffenheim, Wolfsburg und neuerdings Stuttgart denkt.

Jens: Du hast den Trainer angesprochen: Lucien Favre. Wer nicht gerade den Schweizer Fußball mit Argusaugen beobachtet, für den war die Verpflichtung des Trainers wohl eine kleine Überraschung zu Beginn der Saison 2007/2008. Die Spielzeit selber verlief dann sehr durchwachsen, trotzdem hielt der Vorstand an Favre fest und nun läuft es. Zahlt sich die kontinuierliche Arbeit aus, oder was ist das Geheimnis von ihm?

Enno: Als Favre in Berlin anfing, fragte ich: Wer ist Favre? Wie die meisten hatte auch ich keine Ahnung, was auf Hertha zukommen würde. Jetzt weiß man, dass sicherlich das taktisch geprägte Training einen großen Teil des aktuellen Erfolgs ausmacht. In verschiedenen Interviews ist zwischen den Zeilen immer wieder zu lesen, wie enervierend die Übungen sein müssen. Erstaunlicherweise ziehen die meisten Spieler mit. Hier die Motivation hoch zu halten, ist die eigentliche Leistung, denke ich. Aber das allein kann es nicht sein. Die Ausdauerwerte der Spieler sind bestens und auch die Stimmung im Team war schon zu Beginn der Saison ziemlich gut. Der Erfolg bestätigt den Trainer und alle Spieler, die mitgezogen haben. So ergibt sich eine Positiv-Spirale, von der alle profitieren. Allerdings glaube ich, dass das von Favre einkalkuliert war. Wie man soetwas plant, wird nur er selber wissen. Jedenfalls hat er die Zeit bekommen, sein Konzept umzusetzen. Und hier kommt auch Dieter Hoeneß ins Spiel. Er hat trotz allerlei Streitereien Lucien Favre den Rücken frei gehalten. Insofern gehört der Erfolg auch zu einem kleineren Teil dem oftmals ungeliebten Manager.

Jens: Du sprichst die Streitereien um Pantelic an. Nun scheint er nur noch Stammkraft auf der Ersatzbank zu sein, weil das Ukrainische Wundersturmpaket zu ungeahnten Höhenflügen ansetzt. Was ist bitte mit Andrej Voronin los? Die olle Langhaarmatte hatte ja schon gute Ansätze bei uns in Leverkusen, aber gerade spielt er ja wie vom anderen Stern. Liegt es wirklich daran, dass Pantelic nicht mehr neben ihm spielt? Und hat Pantelic noch einen Platz im Team?

Enno: Voronin hat einen tollen, blonden Zopf, an dem man ihn sofort erkennt. Das gibt ihm auf dem Platz noch mal fünf Prozent mehr Aufmerksamkeit. Aber er spielt natürlich auch nicht schlecht derzeit, was seine Herausstellung durchaus rechtfertigt. Wobei ich nicht müde werde, zu wiederholen, dass die ersten beiden Tore gegen Cottbus auch jeder andere Stürmer auf dem Platz gemacht hätte (außer Jula). Sie entstanden aus einstudierten Spielzügen, an deren Ende Voronin stand. Sein dritter Treffer war natürlich ein individuelle Weltklasse-Leistung gegen demoralisierte Cottbuser. Pantelic hat unter Favre einfach nicht begriffen, dass es nicht um individuelle Leistung geht, sondern um eine geschlossene Mannschaftsleistung auf und neben dem Platz. Entweder kann oder er will es nicht lernen. Jedenfalls ist Favre der erste Trainer, der die Traute hat, Pantelic konsequent auf die Bank zu setzen. Pantes Zug ist definitv abgefahren, er wird Hertha zu Saisonende verlassen, aber noch das ein oder andere Spiel von Beginn an machen. Ich rechne damit, dass auch Voronin gehen wird und Hertha im Sturm bei Null anfangen muss. Voronin wird mit diesen Leistungen einfach zu teuer werden.

Jens: Wen hättest du denn gerne als Sturm im nächsten Jahr in Berlin? Was für Spielertypen passen in die Hauptstadt und ist es sinnvoll in einem Mannschaftsteil bei Null anzufangen? In Leverkusen habe ich derzeit das Gefühl, dass es einen Masterplan für die nächsten Jahre gibt – in Berlin auch? Oder steht man überraschend als Meister am Ende der Saison da, bloß hat man keine Spieler, mit denen man in die Champions League geht?

Enno: Wenn ich mir wen wünschen dürfte… Nein, lassen wir das und gehen einmal davon aus, dass Pantelic und Voronin gehen. Es wäre natürlich ungünstig mit einem neuen Sturmduo in die Championsleague zu starten. Aber was soll man machen? Das Scouting von Hertha ist als ziemlich durchwachsen zu bezeichnen. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich einen durchdachten Plan gibt. Für die kommende Saison hoffe ich, dass sowohl Chermiti als auch Domovchiyski, oder zumindest einer von beiden, Stammspieler werden. Erst danach würde ich sagen, dass Favres Plan, nämlich junge Spieler in die erste Mannschaft zu integrieren, wirklich erfolgreich ist. Bisher hat er das nur im Mittelfeld geschafft. Ich würde mir für den Sturm also eine weitere Nachwuchskraft wünschen. Vielleicht einen talentierten Serben, aber bitte keinen Brasilianer á la Lima. Dazu einen etablierteren Spieler mit Entwicklungspotential, wie zum Beispiel Marc Janko von Red Bull Salzburg. Viel wichtiger wäre allerdings ein wirklich guter Außenbahnspieler für die linke Verteidigung.

Jens: Es gibt in Josip Simunic einen Spieler bei Hertha, der fest an die Meisterschaft glaubt und sie sogar den Fans versprochen hat. Mal angenommen, es würde tatsächlich so kommen und die Hauptstadt bekäme ihren Fußballmeister, was würde das verändern in Berlin und der Republik?

Enno: Es wäre eine Sensation, deren Auswirkungen kaum abzuschätzen sind. Wovon man allerdings mit Sicherheit ausgehen kann, sind der wachsende Zuspruch und die vermehrte Aufmerksamkeit seitens der Medien, von “wichtigen Leuten” der Stadt und des Vereins, sowie der Fans. Damit steigen die  Erwartungen und Ansprüche an Leistung, Erfolg und Darstellung. In der Konsequenz bedeutet das für Hertha, dass die Vielzahl der Anforderungen und ihre Enttäuschgssensibilität drastisch steigen wird. Für mich ist fraglich, ob das derzeitige Team um die Mannschaft damit umgehen kann. Ich glaube es ehrlich gesagt nicht, weil man in der Vergangenheit an den verschiedensten Stellen beobachten konnte, dass Kritikfähigkeit und gelassener Umgang mit überzogenen Ansprüchen nicht gerade zum zentralen Kompetenzfeld der Hertha gehören. Handelte es sich beispielsweise um Fragen des Managements, der Öffentlichkeitsarbeit, der Fanbetreuung oder der Gestaltung des Internetauftritts, gingen die Verantwortlichen sofort an die Decke, wenn mal kritische Töne kamen. Ich glaube nicht, dass das gute Voraussetzungen sind, um mit den Herausforderungen umzugehen, die nach einer Meisterschaft auf Hertha zukommen würden. Einzig der Mannschaft und dem Trainerteam würde ich zutrauen, mit dem Erfolg umgehen zu können. Eigentlich ein Armutszeugnis, aber man muss den Tatsachen ins Gesicht sehen.

Jens: Anders rum gefragt. Was würde passieren, wenn Hertha die internationalen Plätze noch verspielt? Möglich ist ja diese Saison alles. So wie du das beschreibst, hört es sich an, als ob es unter der ruhigen Oberfläche ganz schön stürmisch ist.

Enno: Für die Mannschaft, den Trainer und auch das Management wäre es wohl das kleinste Problem, wenn Hertha nicht einmal international spielt. Zumindest kurzfristig gesehen, ließe sich das intern damit legitimieren, dass andere Mannschaften einfach finanziell wesentlich besser ausgestattet sind. Aber schon bei der nächsten sportlichen Krise in der kommenden Saison würde die Mannschaft auseinander brechen, denke ich. Der Trainer würde schnell in Frage gestellt und wohl entlassen werden. Man wäre dann ganz schnell in einer Negativ-Spirale. So gesehen, wäre es eine Katastrophe für Hertha, wenn sie nicht mindestens Fünfter werden. Die Fans wären natürlich bitter enttäuscht, aber das gehört sich so. Am schlimmsten fände ich allerdings die mediale, deutschlandweite Häme, die über Hertha hereinbrechen würde. Die Sommerpause würde ich dann definitiv offline und ohne Zeitungen verbringen.

Jens: Gut – das ist ein Phänomen, das Leverkusen durchaus bekannt ist. Wie sieht denn deine Prognose für das Spiel am Samstag aus? Dieses Mal ein sicherer Sieg für die Hertha? Das Hinspiel gewann Berlin ja “etwas” glücklich in Leverkusen. Wie wird Berlin ins Spiel gehen? Mit der Hinspiel-Taktik oder wird man offensiver agieren?

Enno: Ich glaube kaum, dass Hertha von der abwartenden, defensiven Taktik abweichen wird. Warum auch? Schließlich war man sehr erfolgreich damit. Ich gehe davon aus, dass Leverkusen anrennen wird, vielleicht sogar in Führung geht, aber Hertha im letzten Drittel der Partie die Entscheidung herbeiführt. Es wird ein spannendes und durchaus chancenreiches Match werden. Voronin wird den Ausgleich machen und ein Mittelfeldspieler den Siegtreffer. Es wird also 2:1 für Hertha ausgehen, tippe ich.

Jens: Könnte passen – hoffen will ich es nicht. Ich tippe ja eher auf ein 3:0 für Leverkusen, oder die 2:1-Niederlage passt. Was meinst du denn, wie die Saison für die beiden Teams weiter gehen wird?

Enno: Für beide Teams wird der Rest der Saison ganz bestimmt schwierig. Leverkusen muss schauen, dass sie nicht im Loch versinken. Allerdings könnten sie mäßige Leistungen in der Rückrunde mit dem Pokal-Gewinn kompensieren. Platz sechs, aber Pokal-Sieger, könnte ich mir durchaus gut vorstellen. Hertha muss jetzt einfach durchziehen und sieben der letzten elf Spiele gewinnen. Dann reicht es laut Simunic für die Meisterschaft. Ich glaube ihm und denke, dass es diese Saison etwas wird, mit Hertha und der Meisterschaft!

Jens: Enno – vielen Dank für das Interview! Ein schönes Spiel wünsch ich uns am Samstag!!