Interview mit Ronald Reng (Autor Robert Enke-Biografie: Ein allzu kurzes Leben)

Ronald Reng ist inzwischen ein guter alter Bekannter hier im Blog. Schon zwei Mal stand er Rede und Antwort. Dieses Mal geht es explizit um seine Robert Enke-Biografie “Ein allzu kurzes Leben”. Reng hat für das Buch einen großen Promotion-Marathon hinter sich – im Netz finden sich unzählige Interviews mit den üblichen Verdächtigen – ich hoffe, dass trotzdem noch ein paar neue Informationen dazu gekommen sind. Das Interview haben wir per Mail geführt.

Jens Peters: Ronnie, du hast die Robert Enke Biografie geschrieben. Erzähl doch kurz, wie es dazu gekommen ist!

Ronald Reng: Entstanden ist das Buch im Prinzip aus einem unüberlegten Spruch von mir. Vor sieben Jahren hatte ich Robert ein Buch von mir geschenkt, den Traumhüter. Ein paar Tage später trafen wir uns wieder, und er sagt: „Dein Buch ist ja super.“ Sein Lob machte mich verlegen. Ich wollte mit einem kecken Spruch die Verlegenheit auflösen. Da sagte ich: „Irgendwann schreiben wir gemeinsam Deine Autobiographie.“ Und ich merkte sofort an seinem Gesicht, wie ihm die Idee gefiel. Ihn hat die Idee nie mehr losgelassen, ich denke, man kann sagen: Er wollte dieses Buch mehr als ich. Das war ein Grund, warum ich mich entschlossen habe, das Buch auch nach seinem Tod zu schreiben – auch wenn es nun natürlich ein ganz anderes Buch geworden ist, als wir uns erhofften. Wir dachten, wir schreiben irgendwann, so um 2015, zum Ende seiner Karriere unter dem Motto: Wie der Nationaltorhüter Robert Enke seine Depressionen besiegte.

Was waren die Beweggründe dafür, dass du nur ein Jahr nach Enkes Tod die Biografie geschrieben hast?

Ich wurde natürlich von Zweifeln geplagt: Darf man dieses Buch schreiben? Muss man es schreiben? Und ein Detail bei diesen Grübeleien war: Wann sollte es dann erscheinen? Mit Roberts Frau Teresa war ich mir einig, dass auch das Erscheinungsdatum zum Eindruck beiträgt, ob das Buch pietätvoll oder unwürdig ist. Mir schwebte deshalb ein deutlicher Abstand zu Roberts Tod vor, etwa zwei Jahre. Doch dann stellte sich heraus, dass etliche Autoren, die Robert nie gekannt hatten, Exposés an Verlage verschickten, um Robert-Enke-Biographien anzubieten, unter anderem die Fernsehmoderatorin Bärbel Schäfer. Da war klar, wenn ich lange warte, würden einige Verlage recht zweifelhafte Robert-Enke-Biographien veröffentlichen. Um das zu verhindern, sagte ich mir: Realistisch brauche ich zehn Monate, um so ein Buch seriös zu erstellen, dann muss ich eben sofort anfangen und es muss sofort nach Fertigstellung erscheinen.

Wie bist du vorgegangen?

Ich hatte den unhaltbaren Anspruch, dass es das perfekte Buch werden muss, das war ich Robert schuldig. Also habe ich mit allen Leuten gesprochen, die meiner Meinung nach etwas Essentielles über Robert zu erzählen hatten, ich bin an die Schauplätze seines Lebens geflogen, von Lissabon bis Istanbul, um die Orte szenisch beschreiben zu können, ich habe Videos von all seinen wichtigen Spielen besorgt, Archive von gut zehn Zeitungen gesichtet. Insgesamt habe ich über 40 Interviews geführt – und diese Interviews dauerten zum Beispiel im Fall von Roberts Freund Marco Villa vier Tage, an denen wir quasi durchweg redeten. Hätte ich mit einem normalen Acht-Stunden-Tag gearbeitet, hätte ich allein fünf Wochen benötigt, nur um die Tonbänder der Interviews abzuhören. Zusammengefasst: Ich habe zehn Monate parallel zum wirklichen Leben gelebt.

Kannst du einem Laien in ein, zwei Sätzen erklären, woran Enke erkrankt war, bzw. was das Fatale daran war?

Depressionen haben wenig mit der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes zu tun: „Da war ich echt depressiv.“ Depressionen sind eine Stoffwechselkrankheit, bei der sich das Gehirn verändert. Depressive nehmen nur noch negative Reize wie Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Wut, Verzweiflung wahr, sie leiden an extremer Antriebslosigkeit und Zukunftsangst, das geht so weit, dass sie morgens nicht mehr aufstehen können. Auch ihre Entscheidungsfähigkeit ist enorm eingeschränkt: Robert konnte sich zwei Wochen vor seinem Tod bei der Platzwahl nicht mehr entscheiden, auf welcher Spielfeldseite er mit Hannover die Partie beginnen wollte.

Wie war deine Beziehung zu Robert Enke? Ihr wart befreundet, soweit ich informiert bin, aber hast du etwas in Richtung Depression geahnt?

Ich war nicht Roberts engster Freund. Wir fühlten uns wohl in der Nähe des anderen, ich habe ihn gerne besucht, wenn ich in Deutschland war, wir haben regelmäßig telefoniert und über viele Dinge geredet, auch über Druck im Fußball oder Roberts Schwierigkeiten, mit Kritik fertig zu werden. Ich habe ihn 2003, während der ersten seiner zwei Depressionen, in Barcelona auch regelmäßig getroffen und natürlich gemerkt, dass er extrem niedergeschlagen war. Aber ich hatte keine Antennen für Depressionen, ich hatte die Krankheit vorher nie bei jemandem erlebt und bin deshalb überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass diese Krankheit der Grund für sein versteinertes Gesicht sein könnte.

Was für ein Gefühl ist es in fremden Tagebüchern zu lesen? Gibt es nicht Momente, wo man sich wünschte, man hätte Dinge nicht gelesen?

Ich wollte so viel wie möglich über Robert wissen, um ihn zu verstehen, um zu kapieren, was passiert war, deshalb fand ich es eher ergreifend und erhellend als niederschmetternd, seine Beschreibungen der Depression zu lesen. Und ich wusste, dass Robert seine Aufzeichnungen anderen wie seiner Frau oder seinem Freund Marco Villa bereits gezeigt hatte. Mir hatte er einmal gesagt: „Ich mache mir Notizen für unser Buch.“ Das half, über die Hemmschwelle hinwegzukommen: „Darf ich das überhaupt lesen?“

Die Biografie startet mit einem Gedicht von Robert Enke für Teresa, seine Frau. An dieser emotionalen Stelle, hätte ich beispielsweise überlegt, ob dies nicht zu privat ist? Und was sagt Frau Enke dazu?

Teresa gab mir die Gedichte, weil sie wollte, dass dieses Buch das komplette Bild von Robert zeichnet. Und dazu gehört seine Freude am Dichten. Eine Biographie zu erstellen macht nur Sinn, wenn Du versuchst, den Mensch so zu zeigen, wie er wirklich war. Und Robert wollte dieses Buch. Aber ich werde in der Tat nie wissen, was er von seinen privaten Aufzeichnungen verwendet hätte und was nicht. In der Entscheidung, was veröffentliche ich, war ich ziemlich alleine. Ich habe zum Beispiel keine Zitate von ihm über andere Leute aus den Tagebüchern verwendet. Und ich habe Einträge, die ich für zu entblößend hielt, nicht veröffentlicht.

Gab es Momente, wo du dachtest, dass die “Tragödie” hätte verhindert werden können, ohne dass jemandem Schuld zugewiesen wird? Ich frage auch deshalb, weil Hannovers Präsident Martin Kind Kritik am Enke-Umfeld übte und von einer eventuell möglichen Verhinderung sprach.

Natürlich frage ich mich jeden Tag: Wie hätte es anders ausgehen können? Und meine niederschmetternde Erkenntnis ist: Es gab so viele Zufälle, wenn die anders gelaufen wären, könnte Robert noch leben. Zwei Wochen vor seinem Tod hatte er das Telefon in der Hand und war bereit, sich in eine Klinik einweisen zu lassen. Eine Minute später rannte er ins Bad und als er wieder herauskam, wollte er auf keinen Fall mehr in eine Klinik. Grundsätzlich ist zu sagen: Robert war – gerade im Vergleich zu anderen Depressiven – sehr gut versorgt. Er war in Behandlung bei einem Facharzt, er nahm Antidepressiva, er hatte einen engen Kreis von Leuten um sich, die ihm verständnisvoll und aufopferungsvoll halfen. Dass selbst ein so gut umsorgter Mensch sich von seiner in der Depression verzerrten Wahrnehmung in den Selbstmord treiben lässt, zeigt die Monstrosität der Krankheit.

Zurück zum Buch. Während des Schreibens, hast du in einem Interview erklärt, hast du in einer Art Blase gelebt. Du hast kein Spiel der Weltmeisterschaft gesehen und von deiner Umwelt wenig mitbekommen. Hattest du nicht manchmal selber Angst in den Abgrund zu rutschen?

20 Minuten von England gegen Algerien habe ich schon gesehen … Es war, als hätte ich den Kopf zwischen zwei Brettern, und der Blick geradeaus ging nur auf Robert, auf das Buch. Aber deswegen habe ich auch nicht wahrgenommen, wie ich mich selbst veränderte. Jetzt, im Rückblick, wird mir klar, dass ich sehr oft auch für lange Momente verbittert, ja, sogar voller Hass auf niemandem Konkreten war. Ich strenge mich gerade an, wieder normal zu werden.

Du hast mit vielen Menschen für das Buch geredet. Viele Akteure aus dem Umfeld von Robert Enke kommen zu Wort. Wie war die Resonanz auf das Buch? Gab es auch Menschen, die sich verweigert haben?

Kein einziger Gesprächspartner hat mir abgesagt, im Gegenteil, bei den meisten wie zum Beispiel bei René Adler wurde aus einem Interview sehr schnell ein echtes Gespräch, das sich meist über Stunden hinzog. Man merkte den Leuten an, dass sie für sich Roberts Tod aufarbeiten wollten und oft ihm wohl auch eine Art letzten Dienst erweisen wollten, indem sie zu dem Buch beitrugen.

Einer, mit dem du nicht zum Thema Enke geredet hast, ist Louis van Gaal. Van Gaal war Enkes Trainer in Barcelona. Zwischen den Zeilen könnte man eine Teilschuld oder eine Verantwortung für Enkes Zustand in Barcelona von ihm und dem Torwarttrainer Frans Hoek herauslesen. Auch dieser Tage wird Louis van Gaal in Bezug auf seine Mannschaftsführung kritisiert. Wie siehst du das?

Ich gebe in der Biographie niemandem irgendeine Schuld an Roberts Depressionen. Ich glaube, dieser Ansatz, die Krankheit allein mit äußeren Faktoren zu erklären, funktioniert auch nicht: Sie kommt wohl immer auch von innen heraus. So war es auch bei Robert 2003 in Barcelona. Er beschuldigte sich selbst so sehr dafür, dass er beim FC Barcelona gescheitert war, und diese Selbstvorwürfe, Zweifel, Verzweiflung lösten den Strudel der ersten Depression aus. Van Gaal mit seinen unsensiblen Umgangsformen war gewiss nicht der beste Trainer für Robert in dieser Situation. Wer den Trainer wie ich in Barcelona erlebt hat, ist jetzt auch nicht überrascht, dass Uli Hoeneß in München mit van Gaals Umgangsformen wenig anfangen kann.

Übermannt von der Trauer, gab es viele Stimmen, die zu einer besseren Welt mahnten und sich für Änderungen im Fußballprofigeschäft einsetzten. Gibt es Änderungen? Hat sich irgendwas geändert?

Vielen Profis ist aufgegangen, dass es nicht besonders gesund ist, ihre Versagensängste oder Probleme mit dem Druck permanent zu verdrängen. Deshalb suchen nun viel mehr die Gespräche mit Sportpsychologen oder anderen Vertrauenspersonen innerhalb und außerhalb der Vereine. Und Jupp Heynckes in Leverkusen ist sicher das beste Beispiel, dass auch einige Trainer sensibler auf die Gemütszustände ihrer Profis achten.

Nach dem Fertigstellen der Biografie, hast du einen Promotion-Marathon hinter dich gebracht. Bist du froh, neue Projekt in Angriff nehmen zu können? Und was für Projekte sind das?

Mit dem Buch fertig zu sein, ist definitiv schwieriger, als es zu schreiben. Ich spüre im Moment eine große Gleichgültigkeit. Die Beschäftigung mit Roberts Leben war so intensiv, dass ich mir die alte, vertraute Arbeit als Sportreporter oder Schriftsteller gerade nicht vorstellen kann. Ab und an zwinge ich mich, zumindest wieder einen Zeitungstext zu schreiben, aber die meiste Zeit sitze ich im Büro, höre Musik und gehe wieder nach Hause.

Ronnie – vielen Dank für das Gespräch!