Legendenbildung

Als ich klein war und meine Liebe zu Bayer Leverkusen zarte Knospen trieb, da war der Verein noch nicht die Werkself und noch nicht Vizekusen, sondern nur die graue Maus, die vor 8.000-10.000 Zuschauern im Ulrich-Haberland-Stadion spielte. Ein Feuerwerk an Offensivkraft sah man sicherlich nicht hier, sondern in München oder schlimmstenfalls in Köln. Das lag an der Gesamtqualität der Mannschaft, aber auch an den Stürmern, die pro Saison höchstens auf 8-12 Tore kamen. Da war ein Herbert Waas beispielsweise oder ein Christian Schreier. Woanders waren Roland Wohlfahrt, Jürgen Klinsmann oder Fritz Walter. Hier 10 Tore. Dort 20 Tore.

Dies änderte sich erst mit der Verpflichtung von Ulf Kirsten zur Saison 1990/91. Der Schwatte, dem man nachsagte, dass er sich in der Halbzeitpause rasieren musste, stand fortan für Torgefahr, Instinkt und unbändigen Willen. Für Kirsten war nie ein Spiel verloren. Lag man scheinbar aussichtslos zurück, wollte Kirsten immer noch seine Bude. Bayer-Fans wird noch heute warm ums Herz, wenn sie an den 30.11.97 denken. Leverkusen empfing Bayern. Bayern führte schnell 2:0. Christian Wörns holte sich bereits nach 30 Minuten eine rote Karte ab und trotzdem gewann Bayer gegen Bayern mit 4:2. In Unterzahl. Mit drei Toren von Ulf Kirsten. Ein lupenreiner Hattrick. Gegen Oliver Kahn. Gegen Bayern. Legendär.

Als Kirsten 2003 ging, klaffte eine Lücke auf, die in den kommenden Jahren oft nur kurzfristig gefüllt wurde. Traf ein Spieler regelmäßig, lockte das große Geld, Europa und Erfolge. Dinge, die in Leverkusen nur seltenst erfüllt wurden. Erst Stefan Kießling, ein blonder Schlacks aus Franken lässt nun, 10 Jahre später, die Legende Ulf Kirsten verblassen. Ein Spieler, von dem wohl die Wenigsten gedacht hätten, dass er es mal so weit bringt.

Wer an Kießling denkt, vergisst so schnell nicht, wieviele Bälle der lange Mann aus Franken schon verstolpert hat. Wieviele Tore er schon hätte schießen können. Wie oft man seine Auswechslung herbeigesehnt hat. Doch spätestens nach dieser Saison dürfte dem letzten Kritiker klar sein, dass Kießling nicht mehr der ist, der er mal war. Kießling ackert, rackert, läuft und grätscht, doch speziell in dieser Saison dribbelt, kombiniert und schießt Kießling auch noch Tore, wenn er sie schießen muss. 24 Tore hat er vor dem letzten Spieltag auf dem Konto. Zwei mehr, als Kirsten 1997 und 1998 jeweils schoss. Von den unzähligen Vorlagen will ich erst gar nicht anfangen. Erstmals seit Kirsten könnte ein Spieler wieder die Torjägerkanone nach Leverkusen holen.

Hinzu kommt die Liebe des Spielers zur Stadt. Zu Leverkusen. Egal woher die Angebote kommen – Kießling bleibt und man glaubt es ihm. Leverkusen hat eine neuen Spieler für die Geschichtsbücher des Vereins.

Und was ihn mit Kirsten vereint, ist die Erfolglosigkeit des Spielers in der Nationalmannschaft.