Interview mit Martin Krauß

Auch im zweiten Interview liegt der Schwerpunkt klar beim Thema Doping, aber auch hier wird der Fußball nicht außen vor gelassen. Im Gespräch Martin Krauß, freier Journalist, dessen Texte in der Jüdischen Allgemeinen, im Freitag und in der taz erscheinen. Nebenbei betreibt er das Kraussblog und ist Autor bei Sportswire. Er veröffentlichte zusammen mit Rolf-Günther Schulze das Buch “Wer macht den Sport kaputt? Doping, Kontrolle und Menschenwürde

Herr Krauß, die mediale Gesellschaft ist inzwischen was Doping angeht, so weit geprägt, dass wenn sie einen Radfahrer oder Schwimmer im Fernsehen sieht, sie direkt an unerlaubte Leistungssteigerung denkt. Zu Recht?

Hm, äh, nein. Wenn’s ja nur dazu führte, dass man genauer hinguckte und sich für die Entstehungsbedingungen sportlicher Leistung interessierte, dann wär’s ja zu begrüßen. Aber die Dopingunterstellung funktioniert leider anders: Da sieht man, wie ein Mensch sehr schnell ist, also beispielsweise deutlich unter zehn Sekunden über 100 Meter läuft. Prompt glaubt man nicht mehr, dass es eine menschliche Leistung ist, die man da gesehen hat. Da sorgt der Sport dafür, dass aussortiert wird, wer als Mensch, also als Erbringer menschlicher Leistungen zu gelten hat: Wer bestimmte Blut- und Urinwerte hat, gehört nicht mehr dazu, auch wer beispielsweise seinen Unterschenkel verloren hat wie der südafrikanische Läufer Oscar Pistorius, darf nicht mehr mitmachen, denn: Gesucht wird der schnellste Mensch. Ideologiekritisch betrachtet ist das eine ganz schlimme Geschichte, was sich Sport und Sportöffentlichkeit hier leisten.

Der Eindruck entsteht, dass sich etwas ändern muss. Müssen wir uns ändern oder der Sport? Wie und wo kann man das Übel anpacken?

Das weiß ich nicht. Mir selbst gefällt Sport weiterhin, besonders der große Sport, der Weltklasseleistungen produziert. Und weder das Wissen, dass da Geld bezahlt wird, noch das Wissen, dass da mit Pharmazie oder anderen chemischen Produkten gearbeitet wird, noch das Wissen, dass im Trainingsalltag mitunter politisch sehr unkorrekte Sätze formuliert werden, bringt mich von meiner Liebe zu großem Sport weg. Wer aber sagt, er wolle aus diesem oder jenem oder doch diesem Grund vom Sport nichts mehr wissen, der soll dies für sich so entscheiden. Das ist völlig okay. Wer will, kann ja auch die Rockmusik hassen, weil da Drogen im Spiel sind (habe ich zumindest gerüchteweise gehört).

Gehen wir das ganze doch mal andersherum an. Würden Sie den großen Sport auch immer noch so gerne gucken, wenn Sie wüssten, dass ganz offiziell mit Pharmazie nachgeholfen wird? Wenn das so genannte Doping erlaubt ist? Wäre eine solche Regelung sinnvoll?

Ja, ich würde ihn wohl gucken und lieben, aber mit Problemen. In aller Kürze formuliert: Auf der einen Seite muss man Sportler in gewisser Weise vor sich selbst schützen, also vor den Auswirkungen dessen, was der Konkurrenzkampf ihnen aufzwingt. Man kann es mit den Lkw-Fahrern vergleichen, die vom ökonomischen Konkurrenzdruck dazu gebracht werden, völlig übermüdet durchzufahren und damit sich selbst und andere Verkehrsteilnehmer gefährden. So wie man die zur Einhaltung ihrer Pausen zwingen muss, muss man Sportler auch dazu zwingen, sich nicht dem konkurrenzvermittelten Zwang zu beugen, alles zu schlucken, was ihre Position in der Sportkonkurrenz verbessern könnte.

Das ist die eine Seite. Die andere ist aber die Antidopingpraxis, und da gibt es eine Reihe sehr prekärer Punkte: Dopingkontrollen sind beispielsweise Urin- oder Bluttests. Urintests werden unter “Sichtkontakt” genommen, d.h. dass der Kontrolleur männlichen Sportlern während des Pinkelns auf den Schwanz glotzt und dass bei Sportlerinnen die Scheide ständig betrachtet wird. Die Hose der Sportlerin muss übers Knie runter gezogen sein, es gab oder gibt meines Wissens auch eine Knie-an-Knie-Vorschrift, dass also die Kontrolleurin ihre Knie an die Knie der Sportlerin drücken muss. Bei der vorletzten Leichtathletik-WM, 2007 in Osaka, wurden die Scheiden der Sportlerinnen mit Spiegeln ausgeleuchtet. Das sind dramatische Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre von Menschen! Nebenbei gesagt liegt gegen die Menschen, die so gedemütigt werden nichts vor, kein Verdacht, kein Indiz. Die müssen sich das bloß deshalb gefallen lassen, weil sie Spitzensportler sind. Und weil es ein von niemandem demokratisch kontrollierter Verband bzw. eine Behörde, das ist mittlerweile die Weltantidopingagentur (Wada) es so ausgetüftelt hat.

Sportler müssen auch, damit die Kontrolleure sie jederzeit zu dieser entwürdigenden Urinierprozedur zwingen können, stets ihren Aufenthaltsort bekanntgeben. Auch das ein dramatischer Eingriff in die Bürgerrechte von Sportlern. Was Bluttests angeht, wird von Sportlern der Verzicht dessen verlangt, worauf man in der europäischen Verfassungsgeschichte sehr stolz ist: das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Blutentnahmen, die es sonst gibt – etwa, wenn jemand erwischt wird, wie er besoffen Auto fährt – dürfen nur aufgrund einer gesonderten richterlichen Anordnung und im begründeten Einzelfall erfolgen. Im Sport gelten solche Rücksichtnahmen auf die elementarsten Menschenrechte nichts.

Wenn Sportler entweder überführt werden oder sich weigern, diese Prozedur mit sich machen zu lassen, droht ihnen als Strafe das Verbot der Sportausübung, bei Profis ist das ein Berufsverbot, das von paar Wochen über zwei oder vier Jahre bis hin zu lebenslänglich reichen kann. Dass Berufsverbote verfassungsfeindlich sind (und Ausnahmen, etwa bei Ärzten oder Rechtsanwälten, nur unter strikten Auflagen und genauer Prüfung verhängt werden können), interessiert niemanden. Es ist ja noch nicht mal der Staat, der Berufsverbote verhängt, sondern es sind die Sportverbände.
Und, ein weiterer Punkt, in der Antidopingpraxis wird von Athleten etwas verlangt, was es gar nicht geben kann: Die Rede ist immer von einem sauberen Körper, einer natürlichen Leistung, etwas Reinem, Unberührten. Da wird ein Körperbild propagiert, das mit der Realität weniger zu tun hat als etwa mit den Leibesidealen von Arno Breker oder Leni Riefenstahl. Die hatten sich die (in ihrem Fall: arischen) Menschen immer so vorgestellt, dass diese nackt und rein ihre Überlegenheit gegenüber allem Durchmischten und Durchrassten beweisen. Die Realität aber ist ja, dass Menschen und menschliche Körper vergesellschaftete Produkte sind: Wir essen kein Gras mehr und saufen keine Pfützen mehr leer, sondern wir nehmen Nahrung zu uns, die in gesellschaftlicher Arbeitsteilung produziert wird. Das ist einer von vielen Faktoren, die die evolutionäre Veränderung des Menschen und menschlichen Körpers bewirken. Das zu bestreiten, halte ich im höflichsten Falle für undurchdacht, im unhöflichsten Falle für völkisches Geschwätz.

Es findet sich aber im Sportjournalismus ständig: Nach dem grandiosen 9,58-Sekunden-Weltrekord über 100 Meter von Usain Bolt war wieder in diversen Blättern von “Freakshow” zu lesen. Da wird den Läufern schlicht und einfach ihr Menschsein abgesprochen. Im Blog, den der Kollege Jens Weinreich zur Leichtathletik-WM in Berlin betrieb, schreibt er über die 4-mal-100-Meter-Staffel der Frauen: “Jamaika bleibt eine halbe Sekunde über dem Weltrekord. Deutschland Dritter hinter den Bahamas – in einer Zeit, die ich menschlich nenne: 42,87 Sekunden.”

Das dahinter stehende Gedankengebilde ist offensichtlich: Wirkliche Menschen können nicht so schnell laufen; wer aber doch so schnell läuft, hat sich sich mittels Doping von seiner menschlichen Existenz wegtransformiert.
Weil ich solche und noch paar andere Punkte so schwerwiegend finde, neige ich in der Abwägung eher zur Forderung nach Freigabe – gleichwohl natürlich mit der naiven Hoffnung, dass via Aufklärung keine der klassischen Dopingmittel (Anabolika, Epo etc.) genommen werden. Wenn es eine intelligentere und mit den Menschenrechten verträgliche Lösung gäbe, würde ich das sehr begrüßen und zöge meine Freigabeforderung sofort zurück. Leider wird in diese Richtung bislang nicht mal gedacht.

Während der Leichtathletik-WM stand der Diskuswerfer Robert Harting im Blickpunkt der Medien. Neben äußerst unbedachten Äußerungen in Richtung der DDR-Dopingopfer hatte er zudem noch vor der WM laut über die Dopingfreigabe nachgedacht. Ein Aufschrei folgte, speziell mit dem Hintergrund, dass Hartings Trainer aus dem DDR-Dopingsystem kommt. Nach dem Harting dann Gold gewann, jubelten die meisten nur noch über des Deutschen ersten Platz. Ist eine objektive Berichterstattung noch möglich?

Eine kritische und hintergründige Berichterstattung wäre möglich, gewiss. Aber in der konkreten Konstellation rund um Robert Harting wüsste ich nicht, wie sie aussehen könnte. Harting hat sich ja in der Tat nicht allzu helle geäußert: Das trifft auf seine früheren wie auf seine jüngsten Äußerungen zu. Aber beispielsweise die Kritik an der Einschränkung der Bürgerrechte durch die Antidopingmaßnahmen greift – auch ohne Harting – in immer größerem Umfang um sich. In Belgien haben gerade 65 Sportler eine Sammelklage beim obersten Gericht eingereicht. Vor diesem Hintergrund könnte man vielleicht eher über die Sinnhaftigkeit der Antidopingmaßnahmen sprechen. In Deutschland, so scheint mir, ist die Diskussion sehr verkorkst und könnte ein wenig Niveau gebrauchen – das gilt, wenn man so will, für beide Seiten.

Im Moment ist es so, dass es Doping-Reglementierungen im Sport gibt. Sportler brechen diese Auflagen, aber wenige gehen gegen die Praktiken der Dopingagenturen vor. Müssten sich nicht auch die Sportler in irgendeiner Art und Weise stark machen für vernünftige Anti-Doping-Praktiken oder eine Freigabe? Die Sammelklage der belgischen Sportler ist da nur ein Anfang, oder?

Es gibt zwar immer mehr, aber unterm Strich noch sehr wenige Sportler, die sich wehren. In Deutschland etwa die Mountainbiker Lado und Manuel Fumic, zwei Brüder, die mittlerweile mit slowenischer Lizenz fahren. Sie berichten, dass sie viel Zuspruch von anderen Sportlern erhielten, aber hinter vorgehaltener Hand. Ob das stimmt, weiß ich nicht.
Ansonsten stimmt die in ihrer Frage anklingende Vermutung: Sportler sind in der Zwickmühle. Sie müssen einerseits in dem Klima des Generalverdachts, dem alle ausgesetzt sind, sich ein wenig absetzen, um als glaubwürdige, saubere, sponsorenkompatible und vorbildtaugliche Athleten zu gelten. Andererseits müssen (oder sollten) sie auch ihre Privatsphäre verteidigen – doch das wird schwierig, wenn man auch von der Öffentlichkeit, nicht mal von der linksliberalen, darin unterstützt wird. Für die Freigabe oder gegen die repressiven Antidopingpraxen sprechen sich meist nur Athleten aus sehr kapitalisierten Sportarten aus: etwa die Williams-Schwestern im Tennis oder Bode Miller im alpinen Skisport. In deren Sportarten ist der Einfluss der Verbände, die die Wada tragen, eher niedrig. Und außerdem sind sie dank ihrer Erfolge schwerer angreifbar. Auf der anderen Seite und in weniger kapitalisierten Sportarten, also den klassischen olympischen Disziplinen gibt es sogar Sportler, die dafür plädieren, dass Chips unter die Haut plantiert werden – das fordern etwa die Siebenkämpferin Carolina Klüft und der Hochspringer Stefan Holm. Oder es gibt Sportler, die für unangekündigte Razzien plädieren – so etwa die frühere Schwimmerin Antje Buschschulte. Natürlich gibt es aber auch besonnene – wie etwa der frühere Diskuswerfer Lars Riedel. Er plädiert für intelligentere Kontrollen und macht auch konkrete Vorschläge: dass man etwa mit Haaranalysen operieren solle, wie es in einigen Ländern in der Kriminologie schon selbstverständlich ist. Das würde zwar einige Probleme, wie das Verhängen von Berufsverboten, immer noch bestehen lassen, aber immerhin wären die entwürdigenden und diskriminierenden Eingriffe in die Privatsphäre vorüber. Das wäre ja schon mal eine begrüßenswerte Heranführung des Sports an die Zivilisation.

In diesem Jahr sorgte der Fall Hoffenheim in der Bundesliga für großes Aufsehen. Zwei Spieler kamen zu spät zur Dopingprobe. Nach langem hin und her, wurden die Spieler frei gesprochen und der Verein bekam eine Geldstrafe verpasst. Für viele Menschen ist Fußball ein Sport, in dem Doping keinen Sinn macht. Warum?

Um zu wissen, ob es sportlich sinnvoll wäre, müsste man ja zunächst wissen, was es ist. In der Regel weiß man das gar nicht. Doping ist nicht die Einnahme leistungssteigernder Mittel: Es gibt solche Mittel, die sind erlaubt und solche, die sind verboten. Doping ist auch nicht die Einnahme gesundheitsgefährdender Mittel – auch hier gibt es sone und und sone. Doping ist vielmehr immer nur das, was gerade von der Wada als Doping bezeichnet wird. Die Dopingfälle, die es bislang meist im Fußball gab, sind entsprechend hirnrissig: der Appetithemmer von Roland Wohlfarth, Ephedrine, die in den Körper gelangen, weil jemand gegen seinen Husten Wick Medinait genommen hatte oder ein paar Fälle von Leuten, die Wochen vorher mal gekifft hatten oder in einem Raum waren, in dem gekifft wurde. Das sind alles Dopingverstöße, die auch bestraft wurden.
Ob Doping, verstehen wir es mal anders als die Wada als von Medikamenten unterstützte Leistungssteigerung, im Fußball wirklich sinnvoll ist, weiß ich nicht. Fälle gab es ja: Olympique Marseille oder Juventus Turin. Aber ob da nicht viel psychologische Unterstützung, etwa im Sinne von Placebo-Effekten, im Spiel war, vermag ich nicht zu sagen.

So wie es scheint, sind aber Verbände und auch die Politik daran interessiert diese Dopingfälle möglichst klein zu halten. Auch die Fuentes-Akten sollen ja Fußballer beinhalten, doch erstaunlicherweise wird dem nicht weiter nachgegangen. Auch in den Medien liest fast nicht zu diesem Thema. Wie kommt das?

Es fällt mir schwer zu glauben, ob wirklich Fälle von solch interessierten Kreisen klein gehalten werden oder wurden – was ja ganz nebenbei eine Aussage über die angebliche Macht solcher Kreise, sich gegen die Wahrheit zu verschwören, beinhaltet. Solche Vorstellungen über eine angeblich totalitäre Realität im westlichen Sport und über schlimmste Propaganda- und Verschwörungsoffensiven liest man zwar des Öfteren, noch häufiger schwingen sie implizit mit – aber es bleiben dennoch haltlose Verschwörungstheorien. Von denen halte ich in diesem und auch in anderen Fällen sehr wenig.
Betrachten wir es doch einfach mal andersherum: Es könnte ja auch sein, dass man im Grunde schon mehr über das Thema Doping und Fußball liest, als es von der Sache her begründet ist. Wie gesagt: Das Gros der Fußball-Dopingfälle waren Kiffen, Hustensäfte, verpasste Kontrollen etc. Ich bin fest überzeugt davon, dass Doping viel zu oft und viel zu vereinfachend zur Erklärung von so etwas Komplexem wie sportlicher Leistung benutzt wird.

Vielen Dank für das Interview.