Meine Eltern sind Kinder des Kriegs. Sie sind aufgewachsen in einem Klima der Intoleranz, des Hasses und der Zerstörung. Sie waren noch klein, als der Krieg endete, doch die Erlebnisse dieser schrecklichen Zeit haben sie ungemein geprägt. Die Mutter, die in einem großen Haus lebte und sich dieses mit vielen, vielen Flüchtlingen teilte. Der Vater immer auf der Flucht und auf Wanderschaft, suchend nach dem nächsten Zuhause.
Sie sprechen nicht viel über diese Zeit und die Kinder – mich eingeschlossen – fragen zu wenig. Als ich klein war, musste ich Unmengen von Kriegsdenkmälern besuchen, ich bekam Bücher über jüdische Kinder geschenkt, die blondes Haar hatten und dennoch den Krieg nicht überlebten, ich besuchte die jüdische Gemeinde und wurde zumindest allgemein über die damaligen Geschehnisse aufgeklärt.
In meiner Kindheit gab es im Fernsehen nach der Tagesschau TV-Serien, die gefühlt immer etwas mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatten, viele Abende gingen mit “das Boot” und Herbert Grönemeyer drauf und selbst in “Cabaret” hatten die Nazis noch ihren Auftritt. Krieg, Drittes Reich, Verfolgung von “Anderen” waren immer Themen in meinem jungen Leben.
Wenn ich als Fünfjähriger durch die Straßen lief und jeden mit steil erhobener Hand zum Gruße erschreckte, weil der Nachbarjunge mir das gerade beigebracht hatte und ich gar nicht wusste was das bedeutete, klärte mich die Mutter auf, dass das früher der Gruß der Nazis gewesen war und dass das in den 80ern nicht en vogue ist. Es gab noch andere “Fettnäpfe”, in die ich als junger Dotz trat. Nur soviel sei gesagt. Aber ich lernte und verstand.
Als ich dann etwas älter war kamen die Ausschreitungen von Rostock & der Brandanschlag von Solingen. NPD, DVU waren in vieler Munde, Wahlen gewannen sie Gott sei Dank nie. In mir und vielen anderen meiner Generation keimte die Sorge, dass sich Geschichte wiederholen könnte. Oder “einfach”, dass der Ausländerhass noch größer werden würde. Die Wende gerade hinter uns, war ungewiss was vor uns lag. Hier hatten die Eltern keine Antwort, doch das Gelernte gab die Hoffnung, dass es doch gut werden würde.
So geprägt, war auch die Zeit, wo der runde Lederball eine immer größer werdene Rolle in meinem jungen Leben einnahm, beherrscht von diesem großen Thema. Im Stadion der Preußen an der Hammer Straße sah ich den ersten Verein meines Herzens in die zweite Liga aufsteigen und grandiose Spiele gegen heutige Erstligisten gewinnen.
In den Reihen der Preußen stand damals Henry Acqua, ein Ghanaer. Damals noch ein Exot, ein Afrikaner, ein Schwarzer, ein Neger, wie er in auswärtigen Stadien desöfteren noch “nett” beschimpft wurde. Affengeräusche, Bananen. Das Übliche damals. Eine Selbstverständlichkeit. Ich verstand das nicht. Und irgendwie doch.
Auch ich habe dumme Dinge gesagt und getan. Ich beschrieb es bereits. Man kann jetzt anführen, dass ich noch klein war. Natürlich. Und es auch nicht besser wusste. Stimmt auch. Zu meinem Glück gab es immer noch ein Korrektiv in Person meiner Mutter oder meines Vaters bzw. meiner Familie, manchmal auch der Schule. Immer war jemand da, der mir gesagt hat, was richtig und was falsch ist.
Meine Eltern haben mich sehr geprägt. Ihre Lebensgeschichte. Ihre Erziehung. Darüber bin ich furchtbar froh. Und ich bin furchtbar froh darüber, wenn Menschen sich zusammentun und für eine gute Sache einstehen. Wie zum Beispiel die Aktion Libero. Sportblogger gegen Homophobie im Fußball. Da bin ich bei.
Ein gewagter Ritt, in einem Text von Sportbloggern gegen Homophobie, über das Dritte Reich, Juden, Brandanschläge und farbige Fußballspieler zu sprechen. Ich will nicht vergleichen. Ich will nur sagen, dass Diskriminierung im ganz Kleinen und an allen möglichen Orten beginnt. Und egal, ob sie nun klein oder groß ist, die oder eine andere Zielgruppe hat, sie stellt etwas Schlimmes für die Betroffenen dar. Etwas Schlimmes, dass wir, wenn wir alle an einem Strang ziehen verhindern können. Arbeiten wir dran.
Ein Spiel dauert neunzig Minuten. Zumindest im besten Fall, für schwule Profifußballer dauert das Versteckspiel ein Leben lang: Keiner wagt es, seine Homosexualität offen zu leben. So schön Fußball auch ist – Ressentiments halten sich in seinem Umfeld hartnäckig.
Ein unerträglicher Zustand! Ob jemand schwul ist, oder rund, oder grün, das darf keine Rolle spielen. Wir alle sollten ein bisschen besser aufpassen – auf unsere Worte, unser Denken, unsere Taten: Die Freiheit jedes Einzelnen ist immer auch die eigene Freiheit.
Wir schreiben in unseren Blogs über Sport, und unsere Haltung ist eindeutig: Wir sind gegen Homophobie. Auch im Fußball.
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