Hamburger SV, Teil 1 (oder ein Foul zu viel)

Ich habe lange überlegt wie ich denn die Analyse des Spiels HSV – Bayer 04 beginne. Bis jetzt ist mir nichts sinnvolles eingefallen. Immer noch denke ich, dass diese Niederlage vollkommen überflüssig war. Folgende Problematiken sprangen mir schon während des Spiels ins Gesicht.

[’36] Guerrero mit dem Anschlusstreffer. Der macht immer seine Bude gegen die Werkself. Freistoß von Trochowski, dann kann der Peruaner unbedrängt einnicken. Da war Bayer zuletzt immer etwas nachlässig. Nicht, dass die Hanseaten wieder ein 0:2 drehen. Wäre ja noch schöner. Auf jeden Fall ein Weckruf, wieder mehr zu machen.

Zu den positiven Dingen komme ich später. Wenn man eine Niederlage kassiert hat, schaut man erstmal auf das, was schief gelaufen ist. Wir alle kennen ja auch das Endergebnis. Also 2:0-Führung in Hamburg und dann eine, von gefühlten 32 Standards. Ecken und Freistöße gab es in Massen in der Gefahrenzone. Dass da irgendwann mal einer reinfällt ist zwangsläufig. Vor allem bei der Werkself. Schon gegen Dortmund hat man solche Dinger kassiert, gegen Hoffenheim und jetzt gegen Hamburg. Keine Zuordnung, kein Kopfballspiel, es passt in solchen Situationen oft noch nicht in der Abwehr.

Guerrero macht das Tor und dann verfällt Leverkusen in das altbekannte Phlegma. Kein Killerinstinkt, kein Biss, kein Herz und Verstand um das Ding nach Hause zu schaukeln, stattdessen fängt sich Manuel Friedrich eine dumme gelb-rote Karte ein. Dass dann Trainer und Spieler nach dem Match die Schuld beim Unparteiischen suchen, ist bezeichnend.

Erstaunlicherweise beziehen sich die beiden vor allem auf die erste gelbe Karte. Die habe ich so in Erinnerung.

[’24] Friedrich baselt sich eine Gelbe Karte ein. Angriff von hinten in die Beine von Olic. Muss man geben.

Wenn man dann, vorbelastet mit Gelb, so in einen Zweikampf geht, wie Friedrich gegen Matthijsen, darf man sich nicht wundern, wenn man auch noch die zweite Karte erhält. Er trifft den Hamburger, damit erübrigt sich jegliche Diskussion. Auch die Frage, ob die Hamburger eventuell nicht so hart ins Gericht genommen wurden, sollte völlig irrelevant sein. Dies meint auch Torwart Rene Adler, der wie immer die Schuld nicht bei Außenstehenden sucht, sondern (bei sich und) dem Team.

In der Folge reihen sich teils unglückliche Aktionen, teils individuelle Fehler aneinander, die zu Toren führen. Das passiert einfach, wenn ein Team nur noch mit zehn Mann spielt. Dass noch mehr nach vorne gegangen wäre, haben die letzten fünfzehn Minuten gezeigt. Der HSV wirkte defensiv nie so sattelfest, dass nicht vielleicht doch noch ein Tor hätte fallen können. Vielleicht hätte die Werkself einfach noch ein bisschen mehr riskieren sollen. Hätte, wenn und aber.

Kommen wir zu den positiven Seiten des Spiels. Was ich in den ersten dreißig Minuten von Leverkusen gesehen habe, war oberste Klasse. Super Pressing von den Stürmern, ein Mittelfeld mit sicheren und einfallsreichen Passspiel und eine souveräne Abwehr. Die beiden Toren sind Lehrmaterial für schnelles und direktes Spiel. Hier der Wermutstropfen, dass zum Beispiel Kießling nicht zum 3:0 trifft. Dann hätte man den Hanseaten den Zahn gezogen.

So bleibt zurück, dass Bayer wieder einmal erfrischend offensiven Fußball gespielt hat, ohne etwas zählbares mit nach Hause zu nehmen. Ein Stürmerpaar, dass immer für ein paar Tore gut ist, ein Mittelfeld mit viel Potenzial und eine Abwehr, die sich noch stabilisieren muss. Torwart Adler feierte ein gelungenes Comeback, konnte aber nicht die erhoffte Stabilisierung durch psychologische Einflussnahme erzwingen.

Nach dem Klick gibts die Pressestimmen:

Der HSV kombinierte von Anfang an mit etwas zu viel Liebe zu Kunst und Eleganz. Geradliniger und damit effektiver spielten die Leverkusener. Ihre Konter trafen die Hamburger wie Keulenschläge: 0:1 durch Kießling, 0:2 durch Patrick Helmes. Nach einer halben Stunde stand der HSV wieder da, wo er schon beim 2:2 bei Bayern München und beim 4:2 bei Arminia Bielefeld gestanden hatte: vor der Aufgabe, einen 0:2-Rückstand begleichen zu müssen. (Tagesspiegel)

Noch drastischer formulierte es Pechvogel und Gelb-Rot-Sünder Manuel Friedrich gegenüber SPOX: “Wäre ich nicht vom Platz geflogen, hätten wir das Spiel gewonnen.”

Vereint waren beide in ihrer Wut auf Schiedsrichter Helmut Fleischer. Labbadia sprach von “zweierlei Maß” und bemängelte, dass Fleischer “beim HSV mehrmals ein Auge zugedrückt” habe. Friedrich vermisste das so oft zitierte “Fingerspitzengefühl” beim Spielleiter: “In der zweiten Szene kann man Gelb geben. Aber die erste Gelbe Karte ist ein Witz.” (Spox)

Und auch gestern lagen die Hanseaten gegen zunächst furios aufspielenden Leverkusener mit zwei Toren hinten, um dann den Turbo zu zünden. Bayer-Profi Manuel Friedrich wurde nach 40 Minuten des Feldes verwiesen. Der HSV drehte das Spiel, gewann 3:2 und ist nun Tabellenführer. Der Titel “Spitzenreiter der Moral” kommt dazu. (Welt)

Labbadia: “Der Schiedsrichter hat sehr penibel gepfiffen. Aber er hätte das auf beiden Seiten tun sollen. Das war meiner Meinung nach nicht der Fall. Beim HSV wurde eher mal ein Auge zugedrückt.” (Focus)

Aus seiner Sicht (Adlers, Anmerkung des Bloggers) waren die Bayer-Profis selbst schuld: „Was bringt uns das ganze Lob für unsere gute Entwicklung? Wir müssen uns an die eigene Nase fassen. Ich bin keiner, der Niederlagen an Schiedsrichterleistungen fest macht. Wir hätten das 3:0 machen müssen.“ (Bild)

Obendrein hatten es die Leverkusener nach ihrem furiosen Start versäumt, mit einem weiteren Treffer für noch klarere Verhältnisse zu sorgen. “Da hätten wir den Sack zumachen können”, musste auch Schiri-Kritiker Labbadia einräumen. So herrschte unter den Leverkusener Dienstreisenden bei aller Meinungsverschiedenheiten über das Zustandekommen der Niederlage in einem Punkt absoluter Konsens: Unnötig war sie allemal. (FR)

“Normalerweise kann man so keine Spiele gewinnen”, schüttelte Trainer Martin Jol den Kopf. Insofern hatte der 52-Jährige Niederländer auch keine rhetorischen Probleme, die reflexhaft auftretenden Fragen nach der ersten Deutschen Meisterschaft seit 1983 abzuwehren. “Wenn man hinten so schlecht steht, kann man nicht deutscher Meister werden”, konterte Jol. (FR, II)

Zum jolschen Lieferumfang gehört aber offensichtlich auch, dass bei ihm nicht die Null steht, sondern der Rückstand. Gegen Leverkusen vollbrachte der HSV das Kunststück, im fünften Pflichtspiel der Saison zum vierten Mal in Rückstand zu geraten – davon zum dritten Mal sogar mit 0:2 – und dennoch nie als Verlierer vom Platz zu gehen.

Die Ereignisse der zurückliegenden Wochen sind wirklich abenteuerlich: 0:2 stand es in München nach 16 Minuten – Endstand 2:2. 0:2 lag der HSV nach 37 Minuten in Bielefeld zurück – und siegte noch 4:2. Auch im DFB-Pokal schoss Ingolstadt das erste Tor, verlor aber 1:3. Und jetzt Leverkusen. (Abendblatt)

Der Hamburger SV ist schon jetzt Meister – Meister der Aufholjagd. Das Team von Martin Jol machte beim 3:2 gegen Bayer Leverkusen schon zum dritten Mal (!) in dieser Spielzeit ein 0:2 wett und ist erstmals seit neun Jahren wieder Tabellenführer. Das Bedenkliche für die Konkurrenz ist aber, dass die Norddeutschen ihr Potenzial noch gar nicht ausgeschöpft haben. (ZDF)

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