Lob aus anderen Sphären

“Es mag in den vergangenen Jahren ein zweifelhaftes Vergnügen gewesen sein, über Bayer Leverkusen zu bloggen. Schon weil beim Werksclub vergleichsweise unaufgeregt gewirtschaftet und gespielt wurde. Spätestens jedoch seit Michael Ballack in die Provinz zurückgekehrt ist, muss sich Jens Peters auf seinem Blog Catenaccio vorkommen, wie Perez Hilton auf dem Sunset Strip. Ein Aufreger jagt den nächsten, ständig ist wahlweise einer beleidigt, verletzt oder wütend. Wie Peters jedoch den rechtsrheinischen Zickenkrieg verarbeitet, mit aufwendig geschnittenen Filmen, fotografischen Experimenten und skeptischer Grundhaltung, macht den Blog zu einem der besten im deutschsprachigen Raum.”

Danke an die 11 Freunde. Ausgabe #125. Heute erschienen. Catenaccio wird dort als Blog des Monats tituliert. Siehe S.111. Wow. Wenn ich meckern müsste, dann darüber, dass kein Link erwähnt wurde, aber ich muss ja nicht. Danke auch noch mal an alle, die hier immer wieder reinschauen, spenden, kommentieren, linken, empfehlen und lesen!

Ja.

Ja – die letzten Wochen ist es ruhig hier gewesen. Ja – ich hätte Zeit genug gehabt, mich über die Lage in Leverkusen auszulassen. Ja – ich habe eigentlich jedes Spiel von Bayer gesehen. Ja – ich habe viele viele Analysen gelesen und ja – natürlich habe ich auch eine Meinung zur derzeitigen Lage in Leverkusen und wie es weiter geht. Aber?

Ja – aber, ich hatte keine Lust wieder alles durchzuarbeiten, durchzukauen, mich mit meinem Ärger auseinander setzen und mit meiner Ratlosigkeit.

Für einen kleinen Moment kam Hoffnung auf. Dass der Trainer doch der Richtige ist, dass die Mannschaft will, dass die Mannschaft kann, dass die Ergebnisse stimmen und dass man auf einem guten Weg ist.

Dann kam Barcelona. Spott und Hohn prasselte auf die Werkself nieder dabei war man nur Trendsetter. Wer verliert dieser Tage nicht mal 7:1 oder gar 7:0 oder 6:0 oder 6:1? Ich hatte mit der Niederlage gerechnet, auch wenn ich auf einen Achtungserfolg in Barcelona gehofft hatte. Abhaken, Mund abwischen, weiter machen.

Dann kam die Bundesliga. Wiedergutmachung forderten die Fans. Widergutmachung riefen die Spieler als Motto für die Partie gegen Wolfsburg aus. Was kam war Ernüchterung. Bayer ging schnell mit 1:0 in Führung. Kießling traf und man hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, dass in der Bundesliga alles wieder gut wird. Wenn schon bei Kießling alles funktioniert, er die Bälle runterpflückt wie nichts, sie im Netz unterbringt, als ob das Tor 10 Meter groß wär und der Torwart gar nicht existent. Ja dann. Dann ist doch alles gut.

War es dann aber nicht. Aber hätte es werden können. Hätte Bayer einfach auf 2:0 und 3:0 erhöht, dann wäre Wolfsburg gar nicht wieder ins Spiel gekommen. Spieler hätten sich nicht verletzt, weil Wolfsburg gar nicht mehr 100 Prozent gegeben hätte. Und ja. Dann wär man mit einem Dreier im Gepäck und vier Siegen in Folge gegen Gladbach angetreten und hätte die mit breiter Brust geputzt. Fünf Siege in Folge. Auf einmal auf einem Champions League-Platz. Nächsten Samstag auch noch Schalke vom Platz fegen und dann? Alles gut in Leverkusen.

Hätte hätte, Fahradkette.

Stattdessen wird wieder alles in Frage gestellt. Das Saisonziel ist nur noch Europa League. Die Fans fangen wieder an, Hasstiraden auf Robin Dutt zu schreiben und zu schreien und da können die Spieler noch so toll kämpfen auf dem Platz. Das Leverkusener Publikum wird erst wieder zufrieden sein, wenn es Hacke-123 und ein 5:0 gegen Gegner XY gibt und man Champions League spielt.

Dass das nicht so einfach ist und dass die Liga viel enger zusammen gerückt ist, sehen die wenigsten. Auch der finanzielle Background ist ein anderer. Anfang des Jahrtausends hat man mal eben internationale Stars gekauft – seit ein paar Jahren kauft man junge, günstige Spieler mit Potenzial, die sich aber erst beweisen müssen. Dass es da auch mal Fehlgriffe gibt, ist doch nur natürlich. Schon die Veränderung der kleinsten Stellschraube kann eine Verschlechterung in der Liga um 5 Plätze bedeuten.

Wichtige Entscheidungen können den absoluten Erfolg bedeuten oder vielleicht das Gegenteil. Verkauft man Vidal, bekommt man Geld, das woanders reinvestiert wird, womit man vielleicht mehr gewonnen hat. Dafür holt man vielleicht einen Ballack, der sich verletzt und nie da ankommt, wo man ihn haben wollte. Vielleicht glauben die Verantwortlichen, dass ein Mittelfeldspieler wie Schürrle wichtiger ist, als ein Defensiver und dann passt das doch nicht, weil ein Schürrle nicht den richtigen Mitspieler hat oder der Trainer nicht die Taktik spielen lässt, die ihm entgegen kommt.

Was ich sagen will. Ein Verein wie Bayer Leverkusen ist darauf angewiesen, dass jede Schraube richtig sitzt. Schließlich ist man kein Bayern München, dass mal eben mit einer Arjen Robben-Verpflichtung nachjustieren kann. Ich kann nicht beurteilen, welche Schraube nicht passt. Wo angezogen werden muss und welche wieder ein bisschen lockerer gedreht werden sollte.

Was die Fans sehen ist das Ergebnis, die Spielkultur, den Tabellenstand. Wenn das nicht stimmt, dann setzen die üblichen Mechanismen ein. Trainer raus. Vorstand raus. Spieler raus. Leider ist das ganze doch etwas komplexer.

Das Fans einen Einfluss haben wollen ist klar. Was Fans investieren ist unersetzbar und wunderbar und man möchte auch etwas zurück gezahlt bekommen. Doch das ist leider nicht immer so einfach und die Experten sitzen nun mal im Verein. Vielleicht hilft da einfach ein bisschen Vertrauen in die Fertigkeiten dieser Leute.

“Ich hab es ja schon vorher gewusst!”

Es gibt Spiele, da weiß man schon vor Beginn, dass das heute nichts wird mit der eigenen Mannschaft. Dann gibt es aber auch Tage, an denen man das Gefühl hat, dass das Team unschlagbar ist. Solche Gefühle trügen mich selten, wobei sie in der Regel mit dem negativen Ausgang zu tun haben und natürlich rein subjektiv sind. Nach dem Motto: “Ich hab es ja schon vorher gewusst.”

Vor dem Spiel gegen die Bayern hatte ich eines der seltenen Sieg-Gefühle. Unter der Woche noch nicht, aber je näher das Spiel rückte, desto mehr überkam mich der Gedanke, dass es nach Jahren der kargen Zeiten gegen die Bayern, heute endlich so weit ist. Als dann das Spiel begann und Bayern Chance um Chance vergab, verfestigte sich dieser verrückte Gedanke. Mit der Rettungstat von Manuel Friedrich gegen Mario Gomez war es klar. Der Disput zwischen Boateng und Müller war das I-Tüpfelchen (Klar leben die Bayern, aber auf dem Platz ein völlig falsches Zeichen, wie ich finde – Unstimmigkeiten beim Gegner motivieren eher. Da läuft es nicht. Die pflaumen sich schon an. Die knocken wir aus.). So war klar. Das Ding wird nach Hause geschaukelt.

Und so kam es dann auch. Bayer siegte durch Tore von Kießling und Bellarabi und man könnte sagen, dass die Mannschaft und Robin Dutt alles richtig gemacht haben. Ich könnte nun zum “aber” ausholen, aber das spar ich mir. Denn Siege sind unschlagbare Argumente. Nach Augsburg und Köln wurde der dritte Dreier in Folge geholt. Das gab es in dieser Saison noch nicht. Wolfsburg folgt nächste Woche und dann kommt evtl. eines der wichtigsten Spiele dieser Saison, wenn es tatsächlich noch um die Champions League gehen soll.

Schalke, die nur noch 4 Punkte vor Leverkusen liegen. Gladbach ließ ebenfalls alle drei Punkte in Nürnberg liegen und so heißt konzentriert bleiben und weitere eigene Schwächen ausmerzen. Die gab es ja. Das dürfte jeder gesehen haben. Über einen 2-3-Tore-Rückstand zur Halbzeit hätte sich niemand beschweren können.

Aber der Sieg zeigt, dass es tatsächlich Leistungsträger bei Bayer gibt und dass der Trainer, wie schon zuvor auch in einigen Spielen, die richtigen Stellschrauben bedienen kann. Leno, der die Werkself lange im Spiel hielt oder Schwaab, der egal wo er spielte, eine richtig solide Partie ablieferte – ebenso wie Gonzalo Castro oder Renato Augusto oder Stefan Kießling, dem auf einmal nicht mehr jeder Ball vom Fuß springt. Von der Bank kommen plötzlich Spieler, die Akzente setzen. Derdiyok legt das 1:0 vor, Rolfes das 2:0 und Bellarabi macht es gar selbst.

Und niemals hatte man das Gefühl, dass das noch aus der Hand gegeben wird, weil alle Spieler mit Selbstbewusstsein agierten, den Ball nicht nur lang rauspöhlten, sondern die Entscheidung suchten, wie vorm 2:0. Jetzt heißt es nur die richtigen Schlüsse ziehen und nicht abheben.

Die Stimmungslage kippt auch im Fanlager. Ein Sieg gegen die Bayern und schnell ist der Driss der letzten Wochen vergessen. Mit weiteren Siegen hält die Werkself alle Kritiker klein.