“Habe die Ehre”, wie der Österreicher wohl sagt. Ich darf heute hier im Interview Alois Gstöttner, Herausgeber, Chefredakteur und Art Director vom Magazin “Null Acht” im Interview begrüßen.
Habe die Ehre. Ja, wird – vor allem in Wien – noch immer gerne verwendet. “Hupfts in Gatsch”, war übrigens die bevorzugte Variante von Ernst Happel bei Interviewanfragen.
Und das heißt? Ich finde sowieso, dass der österreichische Dialekt bzw. Wortschatz ein Quell herrlicher Formulierungen, speziell auch im Fußball ist. Im deutschen Fernsehen oder Radio spricht man leider nicht mehr vom “alten Fuchs”.
Heißt soviel wie: “Vielen Dank für ihre Interviewanfrage. Aber bitte lasst’s mich in Frieden und nervt’s jemand anderen mit euren beschissenen Fragen.” Ja, sein Verhältnis zu den Medien war – nennen wir es – schwierig.
Stell dich und das österreichische “Magazin für Rasenpflege” doch einmal kurz vor.
Der eigentliche Titel “Null Acht” referenziert auf das Gründungsjahr, obwohl eigentlich die erste Ausgabe bereits im November 2007 erschien. Unseren Untertitel “Magazin für Rasenpflege” sehen wir programmatisch: Die Liebe zum Spiel und immer etwas aus dem Abseits. Diese Abseitsposition ist schon allein durch unsere zweimonatliche Erscheinungsweise bedingt, da fühlen wir uns auch journalistisch gesehen wohl. Die tagesaktuelle Berichterstattung hat vermutlich in klassischen Print-Produkten wenig Zukunft. Quasi: Nichts ist so alt wie das Fußballergebnis von gestern.
Vor gut sieben Jahren hatte ich ein Gespräch mit Reinaldo Coddou, der damals in der Chefredaktion der “11 Freunde” saß. Er erzählte mir von den mühsamen Anfängen des Magazins, dem Verteilen von Exemplaren im Stadion und den ersten Vertriebsweg über den Kiosk um die Ecke. Wie sahen denn eure Anfänge aus und wie kam es zur Gründung des Hefts?
Eigentlich sind wir noch immer in der Anfangs- bzw. Findungsphase. Aber es hat sich über das letzte Jahr eine ziemlich stabile Autorenschaft gefunden, bzw. Fotografen und Illustratoren, die die Basis des Heftes ausmachen. Redaktionell ist das Kernteam über Wien, Graz, Innsbruck und São Paulo verstreut. Beim gesamten Team verhält es sich ähnlich, jedoch tendenziell schon mit Schwerpunkt in Wien. Die Kommunikation betreffend macht das vieles schwieriger, aber in vielen Punkten ist der geographisch breitere Zugang auch ein Vorteil. Stichwort: Wer kennt schon die heißesten Burschen am brasilianischen Nachwuchsmarkt? Neymar vom FC Santos übrigens.
Darf ich aus euren Worten schließen, dass ihr Kontakte zu diversen Scoutingabteilungen österreichischer Bundesliga-Teams habt? Im Ernst: Eure letzte Ausgabe hatte den Schwerpunkt Brasilien. Ihr habt es geschafft einen erstaunlichen Einblick in das Land und dessen Verhältnis zum Fußball zu gewähren. Alois, du warst zwei Monate bei Karina Lackner, quasi eurer Brasilien-Korrespondentin, vor Ort. Was ist das Fazit eurer Recherchereise? Könnt ihr eure Eindrücke auf ein paar wenige Sätze reduzieren?
Es gibt das Zitat von Nelson Rodrigues: “Beim Fußball ist der größte Blinde der, der nur den Ball sieht.” Das beschreibt eigentlich nicht nur unseren Zugang, sondern auch das Verhältnis der Brasilianer zum Spiel. Natürlich geht es auch hier primär um Punkte, Meistertitel und Derby-Siege. Aber, die Geschichten abseits des Spiels sind meist die charmanteren und interessanteren. Und natürlich wie der Fußball in die Alltagskultur -und sprache eindringt ist erstaunlich. “Show de Bola”, ist einerseits die “Show des Balles”, anderseits aber auch die Bezeichnung für alles Schöne. So was gefällt uns.
Ihr habt für die letzte Ausgabe unter anderem die brasilianische Legende Sócrates getroffen, der sich negativ über die heutige Seleção äußerte. Viele Einzelspieler, die sich für den europäischen Markt empfehlen wollen, könnte man es kurz zusammenfassen. Habt ihr einen ähnlichen Eindruck?
Ja und nein. Diese Europa-Tendenz ist natürlich verständlich aus finanziellen Gründen. Die Ursache ist wohl der Zustand der brasilianischen Liga. Die Liga wird alle Jahre reformiert. Das Maracãna in Rio de Janeiro ist vermutlich beim Fla-Flu seit Jahrzehnten ausverkauft, aber es gibt genug Spiele, vorallem ausserhalb von Rio und São Paulo, mit weniger als 5.000 Zuschauern. Da reden wir fast schon von österreichischen Verhältnissen. Sócrates drückt das natürlich poetischer aus: “Wenn ich Kunstvermittler von Leonardo da Vinci wäre, verkaufte ich natürlich nicht Leonardo da Vinci, sondern sein Werk, die Mona Lisa. Wir machen das Gegenteil, wir verkaufen die Künstler und kaufen deren Werke zurück.” Sprich, die Liga wird falsch vermarktet.
Ihr habt gerade schon den 17-jährigen Neymar vom FC Santos angesprochen, den Pelé schon als seinen Nachfolger ausgerufen hat. Was macht ihn so besonders? Warum wird er nicht einfach nur ein hochbegabter Techniker, sondern ein Ausnahmetalent und Teamplayer? Habt ihr noch weitere Geheimtipps?
Den kleinen Elias von Corinthians São Paulo mögen wir subjektiv betrachtet und Keirrison von Palmeiras, auch erst 20, wird wohl auch objektiv gesehen, bald in Europa ein Thema sein. Aber ganz ehrlich: Wir haben keine Ahnung welche Passquote der neue Innenverteidiger von Fluminense hat. Das überlassen wir auch gerne den Tagesmedien. Wenn uns Sócrates über die unter anderem von ihm initiierte Demokratiebewegung “Democracia Corinthiana” erzählt, finde ich das journalistisch gesehen interessanter als die Anzahl der Weltmeistertitel von Pelé. Das eine ist eine Zahl, das andere ist eine gesellschaftlich relevante Geschichte.
Kommen wir zur österreichischen Bundesliga. Ich muss gestehen, dass ich nur sehr wenig vom Fußball in der Alpenrepublik in den letzten Jahren gesehen habe. Zuletzt durfte ich vor Ort in den Medien verfolgen, wie ein Nachfolger von Karel Brückner gesucht wurde. In den internationalen Wettbewerben sieht man nur selten Teams im Blickpunkt. Hierzulande kennt man meist gerade mal Red Bull Salzburg und Marc Janko. Zu Unrecht?
Aus deutscher Perspektive eigentlich vollkommen zu Recht. Realistisch gesehen dürfen wir alle fünf bis zehn Jahre mal in der Champions League-Gruppenphase ein bissl mitspielen. Interessant finde ich aber, dass du Red Bull Salzburg als Verein nennst. Und nicht zum Beispiel Rapid Wien oder Sturm Graz, die als die letzten zwei Vereine in der Champions League vertreten waren. Erstere übrigens mit legendären null Punkten in der Gruppe mit Bayern München und Juventus Turin. Und jene zwei, die man im Unterschied zu Red Bull Salzburg, als Traditionsvereine bezeichnen könnte.
Unsere Liga heißt offiziell: “Tipp3 Bundesliga powered by T-Mobile”. Wie traurig bitte klingt das? Ihr habt fantastische Stadien, Traditionsvereine, die 50+1-Regel, die Hütten sind in der Regel voll und eine selten-spannende Liga. Seid glücklich!
Zur “Deutschen Postbank-Bundesliga sponsored by Axe” wird es sicherlich in Deutschland auch noch kommen und Red Bull Salzburg ist, denke ich, vor allem aufgrund des Sponsors und der Geschichte, die dahinter steht bekannt. In Deutschland wird seit Jahren die Kappung der “50+1-Regel” diskutiert, in Österreich ist die Lage etwas anders. Wie sah das damals bei Red Bull aus und lässt sich das Engagement mit dem irgendeines Scheichs in England vergleichen?
Klar, Fußball ist ein riesen Geschäft. Als einer der ersten Aktionen Namen und Farben zu wechseln, als Gründungsjahr 2005 anzugeben und sich damit freiwillig einer langen Geschichte zu entledigen, kann man fast schon als feindliche Übernahme bezeichnen, war aber wahrscheinlich Ergebnis einer schlechten Beratung. Beraten wurde Didi Mateschitz, Chef von Red Bull, übrigens von Franz Beckenbauer himself. Mateschitz hat vermutlich die legetime Absicht sein Produkt zu vermarkten. Okay, das kann man akzeptieren. Dass das von kritischen Fans nicht mit Freude aufgenommen wird, ist auch klar.
Aber solange wir die Champions League und Manchester United bzw. Bayer Leverkusen lieber sehen als den SC Simmering in der Wiener Oberliga wird sich daran nicht viel ändern. Das sehen wir schon auch als unseren Job, Themen abseits des großen Geschäfts ein Forum zu bieten. Zum Beispiel den “Homeless World Cup“, oder dem “Peladão“, dem größten Amateurfußballturnier der Welt, im brasilianischen Amazonas. Ein herrliches Spektakel.
Also kommt es vor allem darauf an, wie ein Investor mit dem Verein und dessen Fans umgeht? Oder ist es ok, wenn ein Fußballverein nur noch ein Produkt ist, dass möglichst Gewinn abwerfen soll? Kann man sich dann “echten” Fußball tatsächlich nur beim “Homeless Cup” anschauen oder auf dem Platz um die Ecke?
Ich befürchte, ja: Jeder Profiverein ist mittlerweile ein Produkt, dass am Markt positioniert wird. Und die Fans sind ein Teil davon. Die Etikettierungen sind halt andere, wie: Tradition, Authentizität oder auch sehr beliebt, der klassische Arbeiterverein. Rapid Wien gibt sich hier ordentlich Mühe.
Und “echter” Fußball: Mit unserer Werkself – noch ohne Trikotsponsor – sind wir schon nahe dran. Konditionell bescheiden, technisch limitiert und taktisch verwegen. Für 50 Zuschauer reicht es immer noch.
In den Medien wird das Thema “Doping im Fußball”mit spitzen Fingern angefasst, ihr habt gleich ein ganzes Doping-Ressort. In Deutschland gab es jüngst die Dopingproben-Affäre in Hoffenheim, an der auch der Österreicher Andreas Ibertsberger beteiligt war. Hier wurde das Thema extrem hochgekocht, jeder “Experte” äußerte sich zum Thema, teils auch fragwürdig, am Ende gab es nur eine Geldstrafe für den Verein. Wie ist die Affäre bei euch behandelt worden und hat der DFB richtig geurteilt?
“Doping-Ressort” ist vielleicht leicht übertrieben. Unsere vierte Ausgabe hatte einen Doping-Schwerpunkt mit sieben Artikeln. Zur Hoffenheim-Geschichte mit Christoph Janker und Andreas Ibertsberger: Klar, unglücklich gelaufen. Aber man fragt sich schon, was passieren würde, wenn ein Lance Armstrong einen Wimpernschlag zu spät zu seiner Kontrolle kommt? Aber gut, zumindest hat der Fall eine gewisse Sensibilität für das Thema “Doping im Fußball” ausgelöst.
Und wie waren die Reaktionen in Österreich? Dort wird die Probenentnahme ja von der NADA organisiert und nicht von der Liga, einen Weg den die Bundesliga erst nächste Saison gehen wird. Dachte jemand ernsthaft an Doping und sind die Österreicher für das Thema durch die Wiener Blutbank-Affäre sensibilisiert?
Pragmatisch gesprochen, geht es nicht darum, ob sie gedopt waren, oder nicht. Sondern ob sie die Doping-Richtlinien eingehalten haben. Und, dass haben sie nicht. Ich kenn’ die Statistik nicht, aber was Dopingfälle pro Einwohner betrifft, sind wir sicher vorne mit dabei. Da haben wir – wie sich mittlerweile herausgestellt hat – eine richtige Tradition.
Ich arbeite selbst in einem Verlag, der das deutsche Heft “Player” unter seinen Fittichen hatte. Nach diversen Neubeginnen, ging das Heft, noch vor der großen Wirtschaftskrise letztes Jahr unter. “Player” war im Großen und Ganzen ein Kind der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. “Null Acht” ist nun ein österreichisches Baby der Europameisterschaft. Die Hefte unterscheiden sich natürlich immens, aber muss man in diesen Zeiten nicht immer Angst haben, dass das nächste Heft das letzte ist?
Ja, die gibt es. In diesem Zusammenhang fallen dann natürlich auch so – vor einigen Jahren vielleicht noch als Floskel bezeichnete und belächelte – Begiffe wie Positionierung, USP und Marketing. Blauäugig sind wir hier teilweise sicher noch. Eigentlich halten wir es aber auch für eine Qualität, relativ unabhängig von Tendenzen am Markt zu agieren. Im Prinzip machen wir alles falsch: Keiner von uns hat eine klassische journalistische Ausbildung und Gedanken zu einer potentiellen Zielgruppe standen am Anfang nicht im Vordergrund. Zum Thema: “In diesen Zeiten”: Die Zielgruppe gibt es mit Sicherheit. Das Ziel für die nächsten Jahre ist, sie zu erreichen.
Vielleicht hilft ja gerade diese gewisse Blauäugigkeit und der Idealismus in diesem Bereich weiter. Während größere Verlage am Sujet Fußball, trotz Marketing- und Zielgruppenanalysen scheitern, scheint von der Basis Nachhaltigkeit zu kommen. Die Leser nehmen zumindestens hier in Deutschland die “11 Freunde” gut an. Merken die Leser, wer das Heft macht? Ist das so etwas, wie das Geheimrezept?
Klar, Authentizität und Glaubwürdigkeit werden gern gesehen. Aber nochmal: wir sind ganz am Anfang. Unser Bekanntheitsgrad ist selbst in Österreich noch relativ bescheiden. Die Sache läuft und natürlich denken wir auch über den deutschen Markt nach. Wir haben kaum klassische Vereinsthemen, sprich redaktionell wäre dieser Schritt relativ einfach machbar. Ganz ehrlich: “11 Freunde” ist klasse, aber mir kommt vor, der deutsche Markt ist etwas zu groß für nur ein Heft.
Du kannst deine Deutschland-Tauglichkeit direkt unter Beweis stellen und den deutschen Meister vorhersagen!
Soviel ist fix: Werder Bremen wird sich nicht mehr ausgehen. Leider. Uefa-Cup und deutscher Cup muss heuer mal reichen. Den Rest dürfen sich die anderen gerne ausmachen. Aber ich sag mal: Hertha BSC Berlin. (Anmerkung des Bloggers: Die Äußerung datiert vom 14.05.09)
Zum Schluss brauche ich noch ein paar Blog-Tipps von Dir. Das müssen keine Austria-Blogs sein, dürfen aber gerne. Wo schaust du regelmäßig rein?
Relativ neu und ziemlich lässig, aktuelles über Sturm Graz. Unser Mann in London, mit Schwerpunkt: West Ham United. Und da würde ich mehr reinschauen, wenn mein Portugiesisch besser wäre, der Blog von Juca Kfouri!
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