Eine Rubrik, die man normalerweise getrost dem Trainer beim Indirekten Freistoß überlassen kann, doch nach diesem Wochenende wollte ich doch nochmal selber Pressestimmen zum Spiel bei den Bayern raus suchen. Erstens, weil die Leverkusener trotz des Remis langsam in Richtung Meisterschaftskandidat gedrängt werden und zweitens, weil die Presse außerordentlich wohlwollend mit der Werkself ins Gericht geht und das obwohl man in der letzten Saison zu diesem Zeitpunkt einen Punkt mehr auf dem Konto hatte.
Stefan Osterhaus von der NZZ nimmt konkret das Wort Titelkandidat auf. “Unaufgeregt erfolgreich” so der Titel seines Berichts über den Tabellenführer der Bundesliga.
Auch der Coach von Bayer Leverkusen ist einer, der sich nichts mehr beweisen muss: Der 64-jährige Jupp Heynckes hat Leverkusen zum Tabellenführer geformt; die Equipe ist nach 13 Spielen noch immer ungeschlagen. Am Sonntag erspielte das Team in München ein 1:1 – gegen einen Gegner, der als hoher Favorit in die Saison gestartet war. Dass die Bayern derzeit in der Champions League spielen, haben sie nicht zuletzt Heynckes zu verdanken, der in München zum Ende der letzten Saison als Nothelfer den Platz in der Königsklasse sichern half. Und nicht wenige wünschen ihn sich nun zurück, da Louis van Gaal noch keine Bayern-Erfolgsformel gefunden hat. […]
Auf dem Spielfeld hat er einen Adjutanten: den Finnen Sami Hyypiä, einen 36-jährigen Abwehrroutinier. Hyypiäs Verpflichtung gilt als Königs-Transfer. Indem der Bayer-Sportchef Rudi Völler dem langjährigen Liverpool-Crack zum Karriereende einen Ausflug ins Rheinland schmackhaft machte, gewann die Mannschaft entscheidend an Qualität. Der Begriff «Abwehrstratege» scheint für Hyypiä wie geschaffen. Er ist zweikampfstark, verfügt über ein herausragendes Stellungsspiel und beherrscht die Spieleröffnung, kurz: Er ist ein Verteidiger, wie ihn sich jeder Trainer im Team wünscht.
Andreas Burkert von der SZ beschäftigte sich zwar mehr mit den Problemen der Bayern, doch auch ihm blieb die Spielklasse der Leverkusener nicht verborgen.
Nach dem Ausgleich ging dann gut 20 Minuten lang ein ungläubiges Raunen durch die Arena. Denn die Mannschaft in den weißen Hemden ließ die Kugel mit einer Präzision durch ihre Reihen und die Beine des Gegners wandern, dass dieser bisweilen wie angetrunken hinterher taumelte. Chance auf Chance erspielte sich diese Elf, und zum Leidwesen des Publikums handelte es sich bei dem Team in Weiß nicht um die Bayern.
Die hübscheste Stafette garnierte die Münchner Leihgabe Kroos mit einem Hackentrick in den Lauf von Kießling, der den Ball erneut ins Eck setzte. Allerdings stand der Stürmer knapp im Abseits, das 1:2 fand trotz einer rekordverdächtigen B-Note keine Anerkennung (21.). Drei Minuten später tauchte erneut Kießling frei vor Butt auf, der diesmal parieren konnte. “Ich trauere schon den Chancen der ersten Halbzeit nach”, sollte der egoistische Freund Heynckes hinterher klagen.
Thomas Becker von der taz monierte, dass Bayer vergaß den Matchball zu verwandeln und die allgemeine Ödnis des zweiten Durchgangs:
Mario Gomez steht in der Anfangsformation der Bayern und schießt tatsächlich ein Tor. Weil Kießling auch für Leverkusen trifft, reicht es dennoch nicht zum “Matchwinner”
Es fing so schön an. So wie man sich ein Bundesliga-Spitzenspiel vorstellt: mit Tempo, Klasse, Toren und noch mehr Chancen. Doch in Halbzeit zwei war der Zauber plötzlich verschwunden, und die eben noch rasant und klug stürmenden Teams von Bayern München und Bayer Leverkusen schienen sich darauf geeinigt zu haben, den Ball kollektiv ruhen zu lassen. So hieß es am Ende 1:1 – ein Ergebnis, das Bayer kaum schadet, den FC Bayern in seiner prekären Lage aber nicht nach vorne bringt.
Florian Bogner von Spox mahnt, dass man Leverkusen nun Ernst nehmen müsse.
Dabei hatte Derdiyoks Mannschaft den Rekordmeister zumindest in der ersten Halbzeit am Rande einer Niederlage. Gegen den juvenilen Offensivschwung der Gäste hatten die Bayern-Innenverteidiger wie “Kühlschränke zwischen Hasen” ausgesehen, wie es die “Süddeutsche Zeitung” am Montag treffend bezeichnete. Lediglich wenige Millimeter trennten Bayer von einer 2:1-Führung und, wer weiß, vielleicht sogar von einem Sieg.
Überhaupt stellte diese erste Halbzeit die offene Frage in den Raum, wer denn hier eigentlich der Hausherr, der Rekordmeister, der Mir-san-mir-FC-Bayern ist. Die Herren in Rot, die den Ball mehr per Zufall als mit spielerischer List über das Feld trugen, oder die Herren in Weiß, die ein klares Spielkonzept an den Tag legten und aus einem ballsicheren Mittelfeld mehrere präzise Angriffe aufs gegnerische Tor zauberten.
Kein Murren über AusfälleWährend van Gaals Bayern-Mittelfeld seine Dominanz immer noch in eine Unmenge an Querpässe umwandelt, läuft Jupp Heynckes’ Übersetzung im Mittelfeld schon seit Saisonbeginn auf einem größeren Zahnrad. Das 4-4-2 mit Doppel-Sechs sitzt, auch ohne die zwei Säulen Renato Augusto und Simon Rolfes.
Weil sich der junge Stefan Reinartz in der Zentrale als vorzüglicher Nebenmann des nicht mehr so flippigen Arturo Vidal erweist und Toni Kroos im linken Mittelfeld genauso gefährlich ein Spiel aufziehen kann wie im Zentrum und dazu auch noch defensiv zu gefallen weiß.
Ergänzt wird das Mittelfeld von den agilen Außenverteidigern, die Kroos und Tranquillo Barnetta im Offensivspiel unterstützen. Gonzalo Castro, der in München einen schwächeren Tag erwischte, spielt links genauso sicher wie auf seiner angestammten Seite. Und rechts macht Neuzugang Daniel Schwaab einen ebenso guten Eindruck. Auch hier wird über den Ausfall von Michal Kadlec nicht gemurrt.
Martin Sauerborn beschäftigt sich mit Jupp Heynckes Arbeit mit dem jungen Team, dass in den letzten Jahren doch dazu gelernt hat. (1,2)
Die Jugend besitzt einen unschätzbaren Vorzug. Sie bietet nahezu grenzenlose Möglichkeiten, unfertige Fähigkeiten auszubilden. Jupp Heynckes weiß das. Immerhin blickt er auf 64 absolvierte Lebensjahre zurück. Und als Fußballtrainer macht er sich dieses Wissen zunutze. Das Ergebnis seiner Lehrtätigkeiten ist aktuell bei Bayer 04 Leverkusen zu bewundern. In 13 Saisonspielen noch unbesiegt, Tabellenführer und die beste Abwehr. (1)
Die blutjunge Bayer-Elf, die mit der Gewissheit in die Partie ging, dass Leverkusen seit 1989 nicht mehr in München gewinnen konnte, steckte nämlich nicht nur diese kapitale Negativserie weg, sondern auch das frühe 0:1 (8.). Das Tor ging auf das Konto von Gomez, nachdem Daniel Schwaab erfahren musste, dass man manche Erfahrung lieber nicht macht. So unnötig hatte der Bayer-Linksverteidiger den Ball gegen Bastian Schweinsteiger vertändelt.„Wir haben nicht nach dem Rückstand nicht aufgegeben, sondern richtig gut nach vorne gespielt“, befand Stefan Kießling. Was vor allem an ihm lag, denn nach einem Traumpass von Arturo Vidal gab der Torjäger mit seinem neunten Saisontreffer zum 1:1 (14.) eine schnelle Antwort auf das Gomez-Tor und seinem Team viel Selbstvertrauen. Die folgende Leverkusener Dominanz gipfelte in einem formidablen Konter, an dessen Ende Toni Kroos kunstvoll mit der Hacke Kießling bediente, der wie beim 1:1 rechts unten einschoss. Blöd nur, dass Schiedsrichter Knut Kircher auf Abseits entschied (22.). „Ich habe es mir noch einmal angesehen. Das war klar kein Abseits“, ärgerte sich Kießling. (2)
Frank Nägele vom Kölner Stadtanzeiger bemerkt zu Recht, dass noch nicht alles Gold ist, was glänzt und auch im Verein scheint man das bemerkt zu haben.
Das Schöne an Fußballspielen ist, dass jeder ein ganz persönliches Stück Wahrheit darin finden und es herausholen kann wie das Kind die Rosine aus dem Hefezopf. Aber jedes Kind weiß, dass auch bittere Rosinen dabei sind. Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser wählte am Montag genau diese, weil er den Gedanken nicht mag, dass nach dem 1:1 in München so etwas wie Euphorie ausbricht bei Bayer 04 Leverkusen. Es gibt so viele Fakten, die der Werkself schmeicheln. Ungeschlagen nach 13 Spielen, weiterhin Tabellenführer der Bundesliga, Stabilität trotz einer ganzen Reihe prominenter Ausfälle. Die Klippe Bayern München schön umschifft. Da sagt der Klubchef: „Wir dürfen nicht vergessen, dass wie sechsmal unentschieden gespielt haben, das sind für mich drei gefühlte Niederlagen. Da gibt es keinen Grund, in Jubel auszubrechen.“
Interessant auch immer wieder wie es Bruno Labbadia ergeht. Inzwischen scheint auch die Presse von der Duplizität der Ereignisse, Wind bekommen zu haben. Das Abendblatt schreibt:
Doch der sportliche Negativtrend erinnert derzeit verblüffend an die Vorsaison, als Bruno Labbadia bei Bayer Leverkusen Ähnliches erlebte (s. Grafik). Damals hatte der Trainer einen gefeierten Saisonstart hingelegt und stand nach 13 Spieltag an der Tabellenspitze. Dann kam der Absturz. War es am Ende der Hinrunde immerhin noch Platz fünf und eine Chance auf die Teilnahme an der Europa League, folgte bis zum 34. Spieltag sogar der Sturz aus den internationalen Rängen bis auf Rang neun. Aus den anfänglichen Durchhalteparolen von Spielern wie von Sportchef Rudi Völler entwickelte sich, zumal auch das DFB-Pokalfinale verloren wurde, eine grundsätzliche Diskussion über Labbadias Qualitäten.
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