Jupp Heynckes kam vor zwei Jahren als neuer Chefcoach von Bayern München zu Bayer Leverkusen. Bei den Bayern war er kurzfristig für Jürgen Klinsmann eingesprungen, der von der Vereinsführung geschasst worden war. Uli Hoeneß hatte Angst um den Champions League-Platz der Bayern und zog kurz vor Ende der Saison die Notbremse. Ein Anruf bei seinem alten Kumpel Jupp Heynckes und dieser sagte zu, saß fünf Mal auf der Bayern-Bank und machte aus dem verängstigten Haufen ehemaliger Spitzenspieler ein fußballkompetentes Kollektiv.
Während die Bayern in dieser Zeit Louis van Gaal als neuen Chefcoach verpflichteten, reifte in Heynckes wohl schon die Idee, dass er auch nach den fünf Spielen irgendwo ein Engagement annehmen könnte. Ein Coach, der nach gesundheitlichen Problemen und zuletzt durchwachsenen Arbeitsauftritten in der Bundesliga wieder frisch wirkte. Anders als noch vor Jahren, als er dünnhäutig und eigenbrötlerisch seinen Job verrichtete. Bayer befand sich da gerade in der Endphase der Ära Labbadia.
Dieser hatte eine grandiose Hinrunde mit Leverkusen verbracht, war dann abgestürzt und verpatzte dann auch noch das DFB-Pokal-Finale, inklusive ungünstigem Interview davor und vergraulten Bernd Schneider danach. Leverkusen war eine Mannschaft mit Potenzial. Viele junge Spieler mit relativ wenig Erfahrung auf hohem Niveau. Es wurde hauptsächlich Hurra-Fußball gespielt. Vorne schossen die Stürmer Tor um Tor. Hinten kassierte die löchrige Abwehr Treffer um Treffer. Nach der Abschiebung von Labbadia, verpflichtete etwas überraschend Bayer Leverkusen Jupp Heynckes.
Zum neuen Trainer. Jupp Heynckes. Zunächst einmal musste ich an Rinus Michels denken. Alter erfolgreicher Trainer kommt nach Leverkusen. Mit ihm große Hoffnungen, doch das Abenteuer Bundesliga geht für den Holländer schnell vorüber – ein nachhaltig positiver Eindruck bleibt nicht. Jupp Heynckes ist auch alt und erfolgreich, aber ich glaube, dass er der richtige Mann für Bayer sein kann.
Er hat alles, oder besser gesagt vieles erreicht. Er müsste sich das nicht antun, aber er will. Er scheint Spaß bekommen zu haben, mit jungen Leuten zu arbeiten, sie zu führen und ihnen taktische Ordnung beizubringen. Diesen Eindruck bekam man zumindestens in München, als er den Bayern wieder Leben einhauchte und sie nicht zum Meister machte, aber ihnen wenigstens eine Grundordnung beibrachte und Leute wie bspws. Podolski stärkte.
Das sind Argumente für Heynckes, denn daran mangelte es Leverkusen fast über die gesamte Saison. Mit noch weiteren Verpflichtungen im Endzwanziger-Bereich, könnte die Werkself eine schlagkräftige Truppe versammeln, die nicht nur schön spielt, sondern auch eine gewisse Konstanz an den Tag legt und eine Saison vernünftig zu Ende bringt. Kein auseinanderbrechendes, hadernes Team, dass den Trainer hasst. Solche Zustände kann ich mir bei Heynckes nicht vorstellen. Aus: Friedhof der Eitelkeiten oder ein Plädoyer für Jupp
Und so kam es dann auch. Heynckes arbeitete zusammen mit Co-Trainer Peter Hermann an den Schwächen des Teams. Er stabilisierte die Abwehr, brachte der Mannschaft eine funktionierende Taktik bei, er stärkte die Spieler, machte ihnen bewusst, wie wichtig das Team ist und nicht der Einzelne. Die erste Saison schloss er als 4. ab. Leverkusen legte eine beindruckende Serie von 24 Spielen in Serie ohne Niederlage ab. Leverkusen wurde Herbstmeister, aber man verspielte auch die Meisterschaft. Am Ende ging der Werkself einfach die Luft aus und statt wenigstens noch die CL-Quali zu schaffen musste man am Ende noch Schalke und Bremen in der Tabelle vorbei ziehen lassen.
Heynckes hatte der Mannschaft in dieser Saison genau eine Taktik eingetrichtert. Ein 4-4-2, dass auch schon unter Labbadia gespielt wurde. Zwar verlor die Mannschaft so gut wie nie, allerdings gewann sie auch oft nicht, so dass wichtige Punkte auf der Strecke blieben. Zum Ende der Saison kämpfte Heynckes mit einer Vielzahl von Ausfällen. In den entscheidenden Momenten kam einfach kein Impuls mehr von der Bank. Heynckes konnte das System nicht umstellen und keine inspirative frische Kraft mehr bringen. Die Abwehr war zu abhängig von den Leistungen von Manuel Friedrich und Sami Hyypiä. Leverkusen wurde 4. und spielte zumindest nach zwei trüben Jahren ohne internationalen Pokal endlich wieder Euro League.
In seiner zweiten Saison entwickelte Heynckes das Team konsequent weiter. Neben diversen Spielerverpflichtungen, die teils ergänzend, teils erneuernd waren, kam Michael Ballack zurück nach Leverkusen. Damit war auch wieder der Boulevard in Leverkusen, auch wenn Ballack selten spielte und hauptsächlich verletzt war, was wiederum das Problem der Saison löste. Nämlich gefühlte 12 Spieler auf der 6er-Position im Mittelfeld. Doch Heynckes managete diese Problematik hervorragend und führte u.a. eine neue Taktik ein. Das 4-2-3-1-System, dass ab Mitte der Hinrunde fast nur noch praktiziert wurde. Lief es dann mal nicht, lag man zurück, kam ein zweiter Stürmer ins Spiel.
Die Mannschaft spielt oft, wie Heynckes es ihnen eingetrichtert hatte. Entschleunigt. Vergesst den Hurra-Fußball. Habt Geduld. Irgendwann ergibt sich die Möglichkeit. So siegte Leverkusen diese Saison wesentlich häufiger. Oft viel knapper. Und es drehte Spiele. Nicht ein Mal, sondern viele Male, so dass man dies auf jeden Fall als Lerneffekt auslegen muss, der Heynckes zu verdanken ist.
Doch nicht alles glänzte, was Heynckes anfasste. In einigen Spielen vercoachte er sich essentiell. So war das Spiel der Saison, nämlich der Hinrundenauftakt in Dortmund ein Griff ins Klo. Leverkusen verlor und verlor auch die Chance auf eine eventuelle Meisterschaft. Es gab noch 2-3 andere Auftritte, wo man sich fragte, woran es nun liegt. Sind die richtigen Spieler auf dem Platz? Ist das die richtige Taktik? Warum verliert die Werkself 1:5 in München?
Auch die Geschichte um Heynckes Vertragsverlängerung fällt in den negativen Bereich. Vor Weihnachten schien sich Heynckes über ein weiteres Jahr in Leverkusen klar zu sein. Eine endgültige Entscheidung wollte er aber erst nach Weihnachten treffen. Da muss ihm dann wohl irgendjemand in die Suppe gespuckt haben, denn er zögerte die Vertragsverlängerung immer weiter hinaus, bis er offiziell davon absah und kurz darauf bei den Bayern aus München unterschrieb. Womit sich der Kreis wieder schließt.
Zum Saisonabschluss gab es unschöne Szenen in Leverkusen. Nach dem 1:1 gegen den HSV gab es Rufe nach Heynckes Entlassung. Die Fans vertrauten Heynckes nicht mehr. Hätte Heynckes die direkte Champions League-Quali in Freiburg gar verspielt, wäre ein eigentlich famoses Kapitel der jüngeren Vereinsgeschichte ruiniert gewesen. Die Fans hätten den Trainer vom Hof gejagt und das, was der Trainer den Leverkusenern gebracht hat, wäre vergessen gewesen.
Heynckes hat aus einem konzeptlosen, jungen Haufen talentierter Spieler eine Mannschaft geformt, die in der Lage ist auf höchstem Niveau zu spielen. Heynckes übergibt seinem Nachfolger Robin Dutt ein intaktes Team. Das einzige was man ihm wirklich vorwerfen kann, ist die Frage nach den Gründen seines Abschieds.
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