Von purer Schönheit

Damals hatte ich noch keinen richtigen Bart. Ein paar Haare auf der Oberlippe. Meine Eltern hatten mir mit viel gutem Willen und der Hoffnung “der wird auch noch groß” einen elektrischen Rasierer zu Weihnachten geschenkt. Deo benutzte ich schon und Mädels fand ich auch toll, jedoch die mich nicht. Zumindestens nicht als potenziellen Partner zum Schwoofen. Zu klein. Ich war ein ziemlich Spätzünder was das alles anging.

Fußball habe ich zu der Zeit auch gespielt. Jetzt könnte man meinen, dass ich mir halt irgendwo anders meine Bestätigung abgeholt hab, aber auch Fußball gehörte nicht so richtig dazu. Wir kickten regelmäßig in der Pause mit einem Tennisball. Erste große Pause Hinspiel. Zweite große Pause Rückspiel. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Deo dann schon versagt, aber immerhin hatte ich sportlich etwas Spaß und konnte dann auch passabel mit dem (Tennis-)Ball umgehen.

Ich tauchte also auch bei der Schülermannschaft auf. Meine Lieblingsposition war die des Stürmers. Wo spielte ich? Linker Verteidiger. Kleiner Mann. Kann ein bisschen was. Aber auch nicht zu viel. Wo packen wir den hin? Linker Verteidiger. Da kann man nicht so viel kaputt machen. Stimmt. Siehe Philipp Lahm, der wohl zu dieser Zeit bereits von Außen nach Innen stürmte – auf dem Kindergartengelände. In der Regel hatte ich dann wenig mit dem Spiel zu tun. Ich langweilte mich auf der Position. Der Trainer – ein gewisser Herr Z. – fand mich nett und ließ mich wohl aus gutem Willen mitspielen. Das war alles. U17-Fußball.

Eine hervorragende Überleitung, wie ich finde, denn U17-Fußball sieht heute ganz anders aus. Dies möchte man jedenfalls meinen, wenn man zu später Stunde das TV-Gerät anschmeißt. Die Jungs sehen zwar alle noch ein bisschen grün hinter den Ohren aus, aber Bartwuchs ist vorhanden, man hat coole Frisuren (auch davon war ich damals meilenwert entfernt) und die Mädels ihres Alters wollen bestimmt mit ihnen tanzen. Nebenbei spielen die Kleinen einen Ball von dermaßen purer Schönheit, dass einem der Atem stehen bleibt.

Ich gebe zu, dass die Schülermannschaft nicht viel mit der Auswahlmannschaft des DFB bei der U17-WM in Mexiko zu tun hat. Auch wenn manch einer wohl die Qualitäten unseres Trainers Herrn Z. mit denen des DFB-Trainers Herrn F. auf eine Stufe stellen möchte. Dennoch bin ich verwundert, was sich auf den mexikanischen WM-Plätzen da so abspielt. Ist es Reife, oder Unbekümmertheit, Spielfreude oder was ist das, was man da sieht?

11 Jungs, die laufen bis zum Umfallen. Die nach vorne spielen (und auch schon mal die Defensive vernachlässigen), aber dermaßen vom heiligen Fußballgeist beseelt sind, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Da wird flott über die Außen gespielt. Oder es wird gedribbelt. Doppelpässe werden gespielt. Mit Hacke, Spitze, Spann und allem was man sich so vorstellen kann. Jetzt fragt der geneigte Leser sich. Ja nun – jetzt ist doch Frauen-WM – da bekommt man doch auch tollen Fußball zu sehen. Oder die Bundesliga. Ein Topspiel am Spieltag ist doch immer dabei.

Das ist nur zum Teil richtig. Klar gibt es da mal schöne Spiele, aber viele Spiele sind dominiert von taktischen Geplänkel, von Zeitspielen, Diskussionen, fiesen Tricks und all den Hässlichkeiten des modernen Fußballs. Modern? Oder war das, was wir bei der U17-WM gesehen haben modern? Da wird einfach nur Fußball gespielt, so der Eindruck. Klar gibt es mal eine Schwalbe. Es wird auch mal lamentiert beim Schiedsrichter. Aber hauptsächlich wird Fußball gespielt. Und das war äußerst erfrischend. Danke liebe U17-Mannschaft.

Sommerpausen-Gedanken, Teil 1

Leverkusen:

– Dutt macht einen aufgeräumten Eindruck. Nichts Privates seine Divise. Gut. Sonst das Team im Mittelpunkt. Man gewinnt den Eindruck, dass er das was Heynckes hinterlassen hat, aufgreift und verbessern will.
– Mein zunächst schlechtes Gefühl für die nächste Saison, verbessert sich langsam. Gefühlt landet Bayer aber immer noch im Bereich Tabellenplatz 6-9.
– Mittwoch spielt Bayer in Telgte. Könnte ich mit dem Rad hinfahren. Gegen Glasgow. Mal gucken. Wäre doch was.
– Testspiele bisher ordentlich. Vom Ergebnis zumindest. Nichts gesehen bis dato. Die Tage 0:0 gegen die Löwen.
– Trainingslager scheinen alle glücklich beendet zu haben. Gonzalo Castro und Hanno Balitsch haben für die nächste Saison feste Plätze auf dem Platz. Finde ich gut.
– Nichts neues bzgl. Arturo Vidal.
– Liest man das heutige Heynckes-Interview in der SZ, spielt Reinartz bald in München, so wie der Ex-Trainer Reinartz über den grünen Klee lobt.

Zur Blog-Zukunft:

– Hatte überlegt, den Laden dicht zu machen. Hatte überlegt, das Thema Leverkusen abzuschließen. Hatte überlegt, eine Pause zu machen. Ihr seht. Ich schreibe immer noch.
– Regelmäßige Spielberichte, feste Rubriken, oder Texte immer am Montag nach dem Spieltag wird es wohl nicht mehr geben. Entweder ich habe was zu sagen, oder nicht.
– Mehr Videoinhalte. Wie weiß ich auch nicht. Ich hätte gerne andere Menschen vor der Kamera, die mit Fußball etwas zu tun haben. Jemand Interesse?
– Brauche wieder ein Ziel! Ideen?

Kurzer Eindruck

Sommerpause in der Bundesliga. Stille Zeit auch hier, da ich derzeit überlege, wie es weitergeht und auch irgendwie die “fußballfreie” Zeit genieße. Dazu gibt es dann noch mal mehr in den nächsten 1-2 Wochen. Ganz still wollte ich aber nicht bleiben, denn ein ungutes Gefühl macht sich derzeit in der Magengegend breit, wenn ich mir den Kader von Bayer Leverkusen so anschaue.

Sonntag bittet Robin Dutt zum ersten Mal zum Training und erstaunlicher Weise – für mich – ist Leverkusen relativ unbeteiligt an Transferaktionen in den letzten Wochen geblieben. Von allen Seiten, aber vor allem von Oben kommt das obligatorische “Der Kader ist gut aufgestellt und wir haben einige gute Neuverpflichtungen getätigt.”

Ich gebe zu, dass Andre Schürrle ein absoluter Topeinkauf ist, auf den ich mich natürlich sehr freue, aber dann? Man glaubt doch nicht im Ernst, dass man mit dieser Verteidigung auf internationalem Niveau bestehen kann. Sicherlich kann man eine Gruppenphase überstehen, aber auf der anderen Seite sieht man auch schnell, wie es enden kann (Stichwort Villareal). Und Dutt wird auch so seine Eingewöhnungszeit als Trainer benötigen.

Nun ja. Bis Ende August kann noch eingekauft werden. Die Personalie Vidal ist auch noch nicht vom Tisch. Da kann noch viel passieren, allerdings habe ich das Gefühl, dass sich nicht mehr so unglaublich viel tut. Wie seht ihr das? So?

werkself_talk: innovative_sponsorensuche

Bayer 04 sei Dank! Die Sommerpause der Fußballbundesliga ist für die Fans der WERKSELF kein ereignisloser Fußballraum: Die U-19 lockt unsere Allesfahrer – und ein paar mehr – zum Halbfinalrückspiel nach Wolfsburg, die BayArena ist im Juni und Juli Teil der Frauen-WM und in der Sportschau wird der Pokal-Erstrundengegner ausgelost. Dazu erreichen uns in unseren Timelines regelmäßig neue Meldungen rund um angebliche oder tatsächliche Anbahnungsversuche diverser Vereine Richtung unseres Spielers mit der Nummer 23 auf dem Trikotrücken.

Drehen wir Arturo um 180 Grad und werfen einen Blick auf die Brust des schwarz-roten Bayer-Trikots sind wir auch schon beim aktuell heiß diskutierten Thema „Sponsorensuche“. Das Thema Teldafax ist endlich erledigt und es muss schnell Ersatz her. Schließlich geht es um die Zukunftsplanungen eines Unternehmens und hier dürfte das monetäre Engagement des jeweiligen Hauptsponsors – trotz gesicherter Einnahmen durch die Champions-League – eine nicht unbedeutende wirtschaftliche Rolle spielen.

Die aktuelle Situation weist allerdings einige ungewöhnliche Aspekte auf. Nicht für einen Club, der als „first Mover“ schon immer für Überraschendes gut war, aber zumindest im Vergleich zur klassischen Verfahrensweise bei diesem Thema innerhalb der „Branche Fußball“: internationale Ausschreibungen diverser Sponsoringpakete, Bewerbersuche per Zeitungsanzeige und die Möglichkeit mit unterschiedlichen Trikotsponsoren in die nächste(n) (drei) Spielzeit(en) zu gehen.

Das Thema kann ich mangels Profession nicht aus Marketingsicht beurteilen, finde den Weg des Vereins aber absolut gut und richtig. Natürlich ist es für alle Beteiligten irgendwie angenehmer mit einem Partner, der zur Marke Bayer 04 passt, eine längerfristige Kooperation mit festen Absprachen für die kommenden Jahre einzugehen, aber die Entscheidungen der letzten Wochen ließen einen solchen Weg nicht zu. Es spricht für die Verantwortlichen, dass jetzt neue Ansätze – auch mit einem gewissen Rückschlagrisiko – gewählt wurden. Zitat von Bayer 04 – Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser (www.bayer04.de): “Wir sind davon überzeugt, dass dieser innovative Ansatz das ein oder andere Unternehmen zusätzlich motivieren wird, sich die Unterlagen auch einmal mit einem anderen Blickwinkel anzuschauen, da wir als Marke Bayer 04 Leverkusen ja auch international gelernt sind.”

Mit diesem Angebot erhöht sich die Chance auf eine erfolgreiche Suche nach potenten und passenden Partnern. Der Kreis möglicher Kandidaten wird durch den internationalen Ansatz und die flexiblen Möglichkeiten des Engagements (Sponsorpakete) deutlich erweitert. Auf diese Art und Weise können Unternehmen mit unterschiedlichen Zielmärkten ihrer Produkte und Botschaften angesprochen werden. Auch die doch überschaubare Laufzeit von zunächst drei Spielzeiten kann ein weiteres Argument für Unternehmen sein, sich dem Thema Sportsponsoring durch die „Chance Bayer 04 Leverkusen“ erstmalig oder in anderen Ausmaßen zu nähern.

Auf die Umsetzung und die Ergebnisse dieses ehrgeizigen Projektes dürfen wir alle gespannt sein (sicher sind das auch die Produzenten der Trikotbeflockungen) und eins sollte dabei nicht vergessen werden: “Es ist ein Experiment, und wir wissen nicht, was rauskommt.” (Zitat W. Holzhäuser in der RP).

Natürlich wird dieses Thema bei vielen Fans zu unterschiedlichen Reaktionen führen und auch die ein oder andere Frage aufwerfen (kaufe ich mir jetzt auch zwei Trikots?). Hand aufs Herz: Letztlich ist für mich der Schriftzug auf der Trikotbrust emotional eher zweitrangig – solange das Gefühl ein paar Zentimeter weiter links oben unter der Haut noch das Richtige ist. So ist es und so wird es immer sein.

Schwarz-rote Grüße
Klaus

Zuschauerzahlen

Beim geschätzten Kollegen Kai Pahl von Allesaussersport erschien heute ein Artikel rund um die Zuschauerzahlen beim Pay-TV-Sender Sky. Das wäre jetzt nicht so furchtbar interessant, wenn es nicht um die Zuschauer auf der Einzeloption ginge. Wieviele Zuschauer gucken sich auf der Einzeloption St.Pauli an? Oder den BVB? Oder die Bayern?

Die Bayern sind naturgemäß sehr weit vorne. Bayer Leverkusen ist dann doch recht überraschend ziemlich weit hinten. Weniger als jeweils 5.000 Zuschauer hatten die vier gemessenen Spiele gegen Köln, Hoffenheim, HSV und den SC Freiburg. Was heißt das nun? Leverkusen hat wenig Fans? Leverkusen hat keinen attraktiven Fußball gespielt? Leverkusen-Fans haben kein Geld für Sky-Abos?

Pahl argumentiert folgendermaßen:

Leverkusen scheint immer noch als Retortenklub empfunden zu werden. Trotz nun 32 Jahre ununterbrochener Bundesligazugehörigkeit, namhafter Spieler, Europaauftritte und heuer einer Vizemeisterschaft. Das kommt einer Bankrotterklärung der Marketingabteilung gleich.

Dieser Argumentation möchte ich mich nicht ganz anschließen. Gehen wir davon aus, dass erstmal die Fans die Einzeloption anschauen. In diesem Fall muss dann vielleicht zugeben, dass andere Vereine wesentlich mehr Anhänger in Deutschland haben. Die Argumente, die Pahl anführt, zielen aber für mich eher auf den neutralen Fan und da würd ich als neutraler Fan in der Regel immer die Konferenz vorziehen, als die Einzeloption.

Nichtsdestotrotz bleiben weniger als 5000 Menschen übrig, die sich auf der Einzeloption die Werkself schauen. Ich bekenne mich. Ich gehöre dazu. Die übrigen finden wir auch noch!

Saisonrückblick 2010/2011: Der Trainer

Jupp Heynckes kam vor zwei Jahren als neuer Chefcoach von Bayern München zu Bayer Leverkusen. Bei den Bayern war er kurzfristig für Jürgen Klinsmann eingesprungen, der von der Vereinsführung geschasst worden war. Uli Hoeneß hatte Angst um den Champions League-Platz der Bayern und zog kurz vor Ende der Saison die Notbremse. Ein Anruf bei seinem alten Kumpel Jupp Heynckes und dieser sagte zu, saß fünf Mal auf der Bayern-Bank und machte aus dem verängstigten Haufen ehemaliger Spitzenspieler ein fußballkompetentes Kollektiv.

Während die Bayern in dieser Zeit Louis van Gaal als neuen Chefcoach verpflichteten, reifte in Heynckes wohl schon die Idee, dass er auch nach den fünf Spielen irgendwo ein Engagement annehmen könnte. Ein Coach, der nach gesundheitlichen Problemen und zuletzt durchwachsenen Arbeitsauftritten in der Bundesliga wieder frisch wirkte. Anders als noch vor Jahren, als er dünnhäutig und eigenbrötlerisch seinen Job verrichtete. Bayer befand sich da gerade in der Endphase der Ära Labbadia.

Dieser hatte eine grandiose Hinrunde mit Leverkusen verbracht, war dann abgestürzt und verpatzte dann auch noch das DFB-Pokal-Finale, inklusive ungünstigem Interview davor und vergraulten Bernd Schneider danach. Leverkusen war eine Mannschaft mit Potenzial. Viele junge Spieler mit relativ wenig Erfahrung auf hohem Niveau. Es wurde hauptsächlich Hurra-Fußball gespielt. Vorne schossen die Stürmer Tor um Tor. Hinten kassierte die löchrige Abwehr Treffer um Treffer. Nach der Abschiebung von Labbadia, verpflichtete etwas überraschend Bayer Leverkusen Jupp Heynckes.

Zum neuen Trainer. Jupp Heynckes. Zunächst einmal musste ich an Rinus Michels denken. Alter erfolgreicher Trainer kommt nach Leverkusen. Mit ihm große Hoffnungen, doch das Abenteuer Bundesliga geht für den Holländer schnell vorüber – ein nachhaltig positiver Eindruck bleibt nicht. Jupp Heynckes ist auch alt und erfolgreich, aber ich glaube, dass er der richtige Mann für Bayer sein kann.

Er hat alles, oder besser gesagt vieles erreicht. Er müsste sich das nicht antun, aber er will. Er scheint Spaß bekommen zu haben, mit jungen Leuten zu arbeiten, sie zu führen und ihnen taktische Ordnung beizubringen. Diesen Eindruck bekam man zumindestens in München, als er den Bayern wieder Leben einhauchte und sie nicht zum Meister machte, aber ihnen wenigstens eine Grundordnung beibrachte und Leute wie bspws. Podolski stärkte.

Das sind Argumente für Heynckes, denn daran mangelte es Leverkusen fast über die gesamte Saison. Mit noch weiteren Verpflichtungen im Endzwanziger-Bereich, könnte die Werkself eine schlagkräftige Truppe versammeln, die nicht nur schön spielt, sondern auch eine gewisse Konstanz an den Tag legt und eine Saison vernünftig zu Ende bringt. Kein auseinanderbrechendes, hadernes Team, dass den Trainer hasst. Solche Zustände kann ich mir bei Heynckes nicht vorstellen. Aus: Friedhof der Eitelkeiten oder ein Plädoyer für Jupp

Und so kam es dann auch. Heynckes arbeitete zusammen mit Co-Trainer Peter Hermann an den Schwächen des Teams. Er stabilisierte die Abwehr, brachte der Mannschaft eine funktionierende Taktik bei, er stärkte die Spieler, machte ihnen bewusst, wie wichtig das Team ist und nicht der Einzelne. Die erste Saison schloss er als 4. ab. Leverkusen legte eine beindruckende Serie von 24 Spielen in Serie ohne Niederlage ab. Leverkusen wurde Herbstmeister, aber man verspielte auch die Meisterschaft. Am Ende ging der Werkself einfach die Luft aus und statt wenigstens noch die CL-Quali zu schaffen musste man am Ende noch Schalke und Bremen in der Tabelle vorbei ziehen lassen.

Heynckes hatte der Mannschaft in dieser Saison genau eine Taktik eingetrichtert. Ein 4-4-2, dass auch schon unter Labbadia gespielt wurde. Zwar verlor die Mannschaft so gut wie nie, allerdings gewann sie auch oft nicht, so dass wichtige Punkte auf der Strecke blieben. Zum Ende der Saison kämpfte Heynckes mit einer Vielzahl von Ausfällen. In den entscheidenden Momenten kam einfach kein Impuls mehr von der Bank. Heynckes konnte das System nicht umstellen und keine inspirative frische Kraft mehr bringen. Die Abwehr war zu abhängig von den Leistungen von Manuel Friedrich und Sami Hyypiä. Leverkusen wurde 4. und spielte zumindest nach zwei trüben Jahren ohne internationalen Pokal endlich wieder Euro League.

In seiner zweiten Saison entwickelte Heynckes das Team konsequent weiter. Neben diversen Spielerverpflichtungen, die teils ergänzend, teils erneuernd waren, kam Michael Ballack zurück nach Leverkusen. Damit war auch wieder der Boulevard in Leverkusen, auch wenn Ballack selten spielte und hauptsächlich verletzt war, was wiederum das Problem der Saison löste. Nämlich gefühlte 12 Spieler auf der 6er-Position im Mittelfeld. Doch Heynckes managete diese Problematik hervorragend und führte u.a. eine neue Taktik ein. Das 4-2-3-1-System, dass ab Mitte der Hinrunde fast nur noch praktiziert wurde. Lief es dann mal nicht, lag man zurück, kam ein zweiter Stürmer ins Spiel.

Die Mannschaft spielt oft, wie Heynckes es ihnen eingetrichtert hatte. Entschleunigt. Vergesst den Hurra-Fußball. Habt Geduld. Irgendwann ergibt sich die Möglichkeit. So siegte Leverkusen diese Saison wesentlich häufiger. Oft viel knapper. Und es drehte Spiele. Nicht ein Mal, sondern viele Male, so dass man dies auf jeden Fall als Lerneffekt auslegen muss, der Heynckes zu verdanken ist.

Doch nicht alles glänzte, was Heynckes anfasste. In einigen Spielen vercoachte er sich essentiell. So war das Spiel der Saison, nämlich der Hinrundenauftakt in Dortmund ein Griff ins Klo. Leverkusen verlor und verlor auch die Chance auf eine eventuelle Meisterschaft. Es gab noch 2-3 andere Auftritte, wo man sich fragte, woran es nun liegt. Sind die richtigen Spieler auf dem Platz? Ist das die richtige Taktik? Warum verliert die Werkself 1:5 in München?

Auch die Geschichte um Heynckes Vertragsverlängerung fällt in den negativen Bereich. Vor Weihnachten schien sich Heynckes über ein weiteres Jahr in Leverkusen klar zu sein. Eine endgültige Entscheidung wollte er aber erst nach Weihnachten treffen. Da muss ihm dann wohl irgendjemand in die Suppe gespuckt haben, denn er zögerte die Vertragsverlängerung immer weiter hinaus, bis er offiziell davon absah und kurz darauf bei den Bayern aus München unterschrieb. Womit sich der Kreis wieder schließt.

Zum Saisonabschluss gab es unschöne Szenen in Leverkusen. Nach dem 1:1 gegen den HSV gab es Rufe nach Heynckes Entlassung. Die Fans vertrauten Heynckes nicht mehr. Hätte Heynckes die direkte Champions League-Quali in Freiburg gar verspielt, wäre ein eigentlich famoses Kapitel der jüngeren Vereinsgeschichte ruiniert gewesen. Die Fans hätten den Trainer vom Hof gejagt und das, was der Trainer den Leverkusenern gebracht hat, wäre vergessen gewesen.

Heynckes hat aus einem konzeptlosen, jungen Haufen talentierter Spieler eine Mannschaft geformt, die in der Lage ist auf höchstem Niveau zu spielen. Heynckes übergibt seinem Nachfolger Robin Dutt ein intaktes Team. Das einzige was man ihm wirklich vorwerfen kann, ist die Frage nach den Gründen seines Abschieds.

Fehlkalkulation

Einmal im Jahr sind Sport-Blogger auch im Print-Bereich ganz vorne mit dabei. Nämlich ganz vorne auf dem 11-Freunde-Bundesliga-Vorschau-Heft. In Form eines Bundesliga-Planers gepresst, der jedem Team der ersten Ligen einen Blogger zuordnet. Für Leverkusen war ich das und das bedeutete gleichzeitig, dass ich einen kleinen Fragebogen auszufüllen hatte, mit Fragen rund um die letzte und die kommende Saison. Da kann man dann mal so richtig sein Fußball-Fachwissen auspacken und sich ein Jahr später fragen, was man da für einen Mist geschrieben hat.

Auf die Frage, warum die neue Saison unvergesslich werden würde, antwortete ich, dass Bayern einen perfekten Fehlstart hinlegen würde [..] und am Ende [..] hinter Leverkusen steht. Solange man nicht darüber nachdenkt, was vor diesem Satz steht oder nach ihm oder in den eckigen Klammern, könnte ich demnächst in die Hellseher-Branche einsteigen.

Auf die Frage nach der Schlagzeile der Saison, hatte ich mir so etwas wie Ballack schießt Leverkusen zur Meisterschaft vorgestellt. Damit dürfte dann das Bewerbungsschreiben in der Kristallkugel-Industrie nicht mehr durchgehen. Auch der Meistertipp mit Bayern München ist mal so gar nicht in Erfüllung gegangen, was ja nicht unbedingt schlecht sein muss. Und die Geschichte mit den drei Wünschen vergessen wir auch ganz schnell wieder. Immerhin war die Werkself ganz nah am Meisterwunsch dran.

Foto: (c) Breitnigge